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Die Berliner Zustände im Jahr 2013 – Jährlicher Schattenbericht von MBR und apabiz erschienen

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Selten hat ein Thema die Projekte in Berlin so beschäftigt, wie in 2013 die verschiedensten Aspekte von Flucht, Migrations- und Asylpolitik und die rassistische Mobilisierung gegen Geflüchtete. Der Schwerpunkt der diesjährigen »Berliner Zustände«, dem achten Jahresbericht in Folge, lag scheinbar auf der Hand, war aber nicht in ein einziges Schlagwort zu pressen.

schabe

Diese Ausgabe der »Berliner Zustände« ist so umfangreich wie nie zuvor: auf 120 Seiten berichten 17 Projekte in insgesamt 19 Artikeln über die Berliner Situation – und drei Viertel aller Artikel beschäftigen sich mit dem Schwerpunkt »Geflüchtete in Berlin«. Fängt man im lokalen Sozialraum an, beginnt die Erzählung in einer leerstehenden Schule in Berlin-Hellersdorf. Dort zogen im August 2013 rund 200 Geflüchtete ein, während im Vorfeld und im Nachgang rassistische und rechtsmotivierte Angriffe zur Tagesordnung wurden und rassistische Bürger_innen und extrem rechte Parteien wie die NPD ihre Kampagnen gegen »das Heim« lancierten. »Hellersdorf« ist das Symbol geworden für Rassist_innen und Nazis, die versuchen, ein Heim zu verhindern. Es ist das Symbol für eine überforderte Lokalpolitik und den Versuch, eine »Willkommenskultur« zu etablieren – oder wenigstens zu helfen. Die Artikel zum Schwerpunkt »Geflüchtete in Berlin« in dieser Ausgabe zeigen daher einige lokale Beispiele – neben Hellersdorf aus Pankow und Treptow-Köpenick – und geben Überblicke über die Aktivitäten der extremen Rechten.

Situation von Geflüchteten in Berlin

Diese Ausgabe der »Berliner Zustände« ist so umfangreich wie nie zuvor: auf 120 Seiten berichten 17 Projekte in insgesamt 19 Artikeln über die Berliner Situation – und drei Viertel aller Artikel beschäftigen sich mit dem Schwerpunkt »Geflüchtete in Berlin«. Fängt man im lokalen Sozialraum an, beginnt die Erzählung in einer leerstehenden Schule in Berlin-Hellersdorf. Dort zogen im August 2013 rund 200 Geflüchtete ein, während im Vorfeld und im Nachgang rassistische und rechtsmotivierte Angriffe zur Tagesordnung wurden und rassistische Bürger_innen und extrem rechte Parteien wie die Geflüchtete sind mit diskriminierenden Praktiken der Behörden konfrontiert. Eine gleichberechtigte Teilhabe oder auch nur die Wahrung der eigenen Rechte sind noch lange nicht selbstverständlich: Arbeitsverbot, Residenzpflicht, Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt, angeblich fehlende Plätze für Kinder an Schulen, unzureichende medizinische Versorgung – die Liste ließe sich weiter fortsetzen. Die Situation in
Berlin beschreibt ein Artikel, während ein weiterer sich dem Racial Profiling durch die Berliner Polizei annimmt.

Aus der Logik des institutionellen Rassismus ist auch nicht zu entkommen, wenn man als Opfer von Rassismus vor Gericht aussagt: diskriminierende Sprache und die Ignoranz von Rassismus als Motiv von Gewalttätern und Nazis reproduzieren sich in Ermittlungen und Gerichtsverfahren, wie es Reach Out in einer Prozessbeobachtung beschreibt.

Abschottung nach Innen und Außen

Ein Blick zurück zeigt die Tradition der Abwehrhaltung der Partei- und Lokalpolitik gegenüber selbstbestimmten Kämpfen von Migrant_innen: vor über 20 Jahren besetzten aus Hoyerswerda Geflohene zusammen mit antirassistischen Aktivist_innen die TU in Berlin. Damals wie heute versäumt bis verhindert die Partei- und Lokalpolitik es, die Geflüchteten oder betroffenen Roma mitreden oder gar selbst bestimmen zu lassen, wie zwei weitere Artikel zeigen. Der rassistische Diskurs um »Armutsmigration« erleichtert dabei die Durchsetzung einer autoritären Armuts- und Migrationspolitik und die Aberkennung von Grundrechten
für stigmatisierte Gruppen. Diese Politik ist zunehmend vereinheitlichend auf europäischer Ebene abgestimmt, es heißt, die Flüchtlingspolitik solle »harmonisiert« werden. Das Resultat ist die Vereinigung der Kräfte zur Regulierung, Kontrolle und der versuchten kompletten Abwehr von Migrationsbewegungen nach Europa. Diese Abwehr bindet auch nordafrikanische Staaten in Form von »Sicherheitspartnerschaften« in
das Projekt ein. Die Festung Europa beginnt schon in der Wüste Malis, sie hindert Menschen, nach Ceuta und Melilla zu migrieren und fordert unzählige Tote auf dem Mittelmeer. Die Überlebenden erreichen auch
Berlin. In einem Interview beschreiben Aktivist_innen ihre selbstbestimmten Kämpfe für Bewegungsfreiheit und Menschenrechte.

Die »Berliner Zustände 2013« sind als Printausgabe bei den beteiligten Projekten erhältlich sowie als PDF-Ausgabe auf diversen Webseiten. Fördermitglieder des apabiz erhalten ein Exemplar wie immer auf dem Postweg.


Neonazis scheitern vor Kreuzberg

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Unter dem Motto „Kreuzberg muss befreit werden – Sicher, sauber, ordentlich. Weg mit Multikulti, Kriminalität und Verslumung“ wollten Neonazis am Samstag, den 26. April durch Berlin-Kreuzberg laufen. Die ursprünglich vom Berliner NPD-Landeschef Sebastian Schmidtke angemeldete Route war kurz zuvor durch die Polizei abgeändert worden, sollte jedoch weiterhin streckenweise durch Kreuzberg führen. Soweit kamen die knapp über 100 Neonazis jedoch nicht, sondern konnten gerade einmal 140 Meter durch Berlin-Mitte laufen, bevor sie abbrechen und wieder umkehren mussten. Etliche Tausend Gegendemonstrant_innen hatten sich den Nazis in den Weg gestellt und erfolgreich an mehreren Stellen sowohl die geplante Route als auch mögliche Ausweichrouten blockiert. Während im Anschluss in Kreuzberg eine Jubeldemo stattfand, meldete Schmidtke einen Spontan-Demonstration an, und die Nazis marschierten weitgehend ungestört durch Adlershof.

26. April2014: Neonazis wollen unter dem Motto „Kreuzberg muss befreit werden – Sicher, sauber, ordentlich. Weg mit Multikulti, Kriminalität und Verslumung“ durch Kreuzberg Marschieren und scheitern an Blockaden. Patrick Krüger, stellvertretender Landesvorsitzender von die Rechte, zeigt unverhohlen seine Sympathienfür Zschäpe und Wohlleben.

26. April2014: Neonazis wollen unter dem Motto „Kreuzberg muss befreit werden – Sicher, sauber, ordentlich. Weg mit Multikulti, Kriminalität und Verslumung“ durch Kreuzberg Marschieren und scheitern an Blockaden. Patrick Krüger, stellvertretender Landesvorsitzender von die Rechte, zeigt unverhohlen seine Sympathienfür Zschäpe und Wohlleben. (c) apabiz

Es waren nicht sonderlich viele Nazis, die dem Aufruf von Sebastian Schmidtke gefolgt waren und sich an der Jannowitzbrücke eingefunden hatten. Letztlich waren es knapp über 100 meist junge Neonazis, darunter gerade einmal vier Frauen! Zwischenzeitlich entstand der Eindruck, als sei pro Neonazi ein_e Pressevertreter_in vor Ort. Eines jedoch war von Beginn an offensichtlich: Ähnlich wie beim ersten gescheiterten Aufmarschversuch in Kreuzberg am 14. Mai 2011 auf dem Mehringdamm (1), bei dem Gegendemonstrant_innen und People of Colour von Nazis attackiert wurden, war auch hier scheinbar ein überregional gut vernetzter, harter Kern von teilweise aktions- und gewaltorientierten Neonazis zusammengekommen.

Zum Einen waren das die üblichen regionalen NPD-Kader um Sebastian Schmidtke, etwa Maria Fank (Berlin) und Ronny Zasowk (Brandenburg) sowie Berliner Anti-Antifa-Aktivisten wie Christian B. und David G. Auffällig war allerdings, dass einige Berliner Neonazis überraschenderweise fehlten, wie etwa die Neuköllner Neonazis um den NPDler Sebastian Thom. Gekommen war hingegen etliche Neonazis der Partei Die Rechte, so etwa der Berliner Landesverband um Uwe Dreisch und Ronny Schrader (beide ehemals Frontbann 24). Der stellvertretende Landesvorsitzende von Die Rechte, Patrick Krüger, fiel durch ein besonders drastisches T-Shirt auf. Ganz in Schwarz-Weiß-Rot gehalten zeigte es auf den Vorderseite neben der Schwarzen Sonne in Frakturschrift den Spruch „Freiheit für Wolle und Beate“ (gemeint sind die in München im NSU-Verfahren Angeklagten Ralf Wohlleben und Beate Zschäpe.) Auf der T-Shirt-Rückseite war zudem zu lesen: „NSU (Schau) Prozess stoppen!“.

 

Sebastian Schmidtke und Maria Fank (NPD bzw. RNF Berlin) [(c) apabiz] Uwe Dreisch, Vorsitzender von Die Rechte Berlin (rechts), mit einem Aktivisten der "Weiße Wölfe Terrorcresw aus Thüringen" [(c) apabiz] Anti-Antifa-Aktivisten Christian B. (Bildmitte in Drohgebärde) und David G. (links im Bild ganz in Schwarz mit Basecap und Sonnenbrille) [(c) apabiz] Maik Schneider (NPD Brandenburg) [(c) apabiz] Neonazi-Aktivist aus Berlin [(c) apabiz]

 

Überregionales Treffen neonazistischer Straf- und Gewalttäter

Neben den regionalen Nazi-Kadern waren aus etlichen anderen Regionen Neonazis angereist, von denen einige seit Jahren bzw. Jahrzehnten für ihre Gewalttätigkeiten bekannt sind. Aus Dortmund waren dies beispielsweise Aktivisten des Landesverband Nordrhein-Westfalen von Die Rechte und dessen Umfeld. Wie in Berlin war auch der Landesverband NRW im letzten Jahr von Aktivisten verbotener Neonazi-Kameradschaften gegründet worden. Am vergangenen Samstag war unter anderem der derzeitige Landesvorsitzende von Die Rechte NRW, Dennis Giemsch, anwesend. Bis zu dessen Verbot im August 2013 galt er als der „geistige Anführer” des “Nationalen Widerstands Dortmund” (NWDO). Im Dezember 2013 erhob zudem die Berliner Staatsanwaltschaft Anklage gegen Giemsch. Ihm wird vorgeworfen, verantwortlich für die Website des „Nationalen Widerstands Berlin” (NW Berlin) zu sein, die aufgrund ihrer Anti-Antifa-Listen im Fokus der Ermittlungen stand.

Aus Dortmund waren extra die ehemaligen Aktivisten des "Nationalen Widerstands Dortmund" NWDO und heutigen Kader vom Landesverband NRW von Die Rechte: Dennis Giemsch, Christoph Drewer und Michael Brück (von links).

Aus Dortmund waren extra die ehemaligen Aktivisten des “Nationalen Widerstands Dortmund” NWDO und heutigen Kader vom Landesverband NRW von Die Rechte: Dennis Giemsch, Christoph Drewer und Michael Brück (von links).

Begleitet wurde Giemsch am 26. April in Berlin von etlichen jungen Neonazis aus und um Dortmund, die wie er bis zum Verbot NWDO-Aktivisten waren und seitdem für Die Rechte aktiv sind. Außerdem in dieser Gruppe mit von der Partie war der seit etwa 30 Jahren bekannte Neonazi-Hooligan und ehemalige Anführer der Dortmunder Nazi-Hooligan-Gang „Borussenfront“, Siegfried Borchert (bekannt als „SS-Siggi“). Auch Borchert ist heute für Die Rechte aktiv, als Kreisvorsitzender und Spitzenkandidat für die Kommunalwahlen in Dormund.

Desweiteren waren Neonazis des Netzwerks „Weiße Wölfe Terrorcrew“ (WWTC) aus Thüringen und Norddeutschland nach Berlin gekommen. Unter ihnen der WWTC-Aktivist Sebastian R. aus Hamburg, der für seine neonazistische Gewalttätigkeit berüchtigt und deshalb bereits vorbestraft ist. Teile des WWTC waren im Sommer 2013 im Zuge einer

europaweiten Razzia betroffen. Der Vorwurf lautete „Gründung einer terroristischen Vereinigung”, die unter dem Namen „Kommando Werwolf” international agierend terroristische Anschläge und Umsturzpläne vorbereitet habe. Zwischen Personen des WWTC und Uwe Dreisch, Gesine Schrader (vorher Hennrich) und Ronny Schrader (alle ehemals Frontbann 24 und heute Die Rechte Berlin) bestehen seit Längerem enge Kontakte.

Sebastian R. (Bildmitte mit Kinnbart) und weitere Aktivisten der neonazistischen Kameradschaftsstruktur "Weiße Wölfe Terrorcrew" (WWTC) [(c) apabiz] Christoph Drewer (ehemaliger Aktivist des verbotenen "Nationalen Widerstands Dortmund" (NWDO) und heutiger Kandidat für Die Rechte [(c) apabiz] Siegfried Borchert alias "SS-Siggi" (langjähriger Kader der Nazi-Hooligan-Gang "Borussen-Front" und heutiger Kreisvorsitzender von Die Rechte in Dortmund [(c) apabiz]

 

Polizeiliches Desinteresse an tätlichen Angriffen und strafbaren Äußerungen

Dass dieses Personenpotential nicht bloß eine theoretische Bedrohung bleiben würde, zeigte sich von Beginn an: Als der Lautsprecherwagen der Neonazis den Auftaktort an der Jannowitzbrücke erreichte, musste er eine Blockade von etlichen Hundert Menschen passieren. Neonazis, die mit Anmelder Schmidtke im Wagen saßen, griffen aus dem Auto heraus Gegendemonstrant_innen mit einem Feuerlöscher an. Laut RBB wurden die angreifenden Neonazis kurzzeitig festgenommen. Ein weiterer Vorfall ereignete sich unmittelbar nach Beendigung der Auftaktkundgebung. Ein Journalist wurde in einer unübersichtlichen Situation von Nazis zu Boden gestoßen und noch am Boden liegend attackiert. Die zahlreichen in unmittelbarer Nähe stehenden Polizeibeamt_innen kamen dem Angegriffenen nur zögerlich zur Hilfe und versuchten anschließend nicht, die Täter ausfindig zu machen. Auch als der Dortmunder Christoph Drewer seine Redebeitrag mit „Deutschland den Deutschen und Ausländer raus“ beendete, reagierte die Polizei erst, nachdem Vertreter von Die Linke und den Piraten aus dem Berliner Abgeordnetenhaus Anzeige wegen Volksverhetzung erstatteten und somit eine kurze Ingewahrsamnahme erwirkten. Drewer war laut der antifaschistischen Zeitung LOTTA ebenfalls einer der führenden Köpfe des NWDO und kandidiert heute für Die Rechte in Dortmund.

Rassistische Hetze allgegenwärtig

Die Beiträge aller, die im Rahmen des Aufmarschversuches redeten, waren maßgeblich geprägt von rassistischer Agitation. Drewer etwa fabulierte in seiner Rede davon, dass „nicht durch einen Krieg, sondern durch die jahrzehntelange Überfremdung” angeblich „schon lange […] der Tod am deutschen Volk geplant” sei. Als Quelle für seine auch dort nicht belegte Behauptung, es gäbe „75.000 Opfer durch Ausländergewalt seit der Wiedervereinigung”, bemühte er das verschwörungsideologische, rechte Compact-Magazin.  Er schloss seinen Beitrag mit einer unverhohlenen Drohung und der bereits erwähnten volksverhetzenden Äußerung: „Wir Deutschen müssen endlich aus der Opferrolle herauskommen. Wir müssen uns endlich wieder Respekt verschaffen. Egal wie, egal wo und am besten bei der nächsten Gelegenheit. Unsere Forderung steht und das ist: Deutschland den Deutschen! Ausländer raus!

Sebastian Schmidtke, Maria Fank und Ronny Zasowk bezogen sich in ihren Reden dezidiert auf die Situation in Kreuzberg und Berlin und richteten sich in erster Linie gegen Refugees und Asylsuchende. Vor allem das bereits zwei Wochen zuvor geräumte Camp am Oranienplatz war immer wieder im Fokus der Hetzreden. Schmidtke etwa behauptete, dass viele Menschen „den Namen Kreuzberg sinngemäß als Ersatzbegriff für Rauschgift, Islamismus, Verbrechertum, Anarchie, Müll, Gewalt und Tod” benutzen würden. Er traf den Nerv der anwesenden Neonazis als er ein „sauberes, ordentlich deutsches Kreuzberg, gegen Multi-Kulti, Multi-Asi, Multi-Krimi” forderte. Allerdings sorgte er auch für Verwirrung und Verstimmung bei einigen, als er in Bezug auf eine tödliche Auseinandersetzung unter Refugees in der Gerhard-Hauptmann-Schule am Vortag sagte:

Wie wollten vorbeilaufen an der widerrechtlich besetzten Gerhard-Hauptmann-Schule, wo erst gestern wieder ein Vorfall passiert ist, der zeigt, dass unsere Forderungen richtig sind. Gestern haben sich gegenseitig Asylanten da niedergestochen. Niedrige Gemüter würden jetzt wieder applaudieren [Applaus und zustimmende Rufe im Hintergrund]. Es ist falsch, dort zu applaudieren. Denn die Menschen können nichts dafür. Die Menschen sind Opfer dieser asozialen Multi-Kulti- und Asyl-Politik geworden. Die Menschen müssen natürlich, wie zu 99% der Fällen, zurück in ihre Heimatländer geführt werden.

Erfolgreiche Blockaden in Kreuzberg und Mitte

Die relativ geringe Beteiligungszahl der Nazis lässt sich möglicherweise damit erklären, dass massive Gegenproteste und antifaschistische Blockadeversuche seit Bekanntgabe der Route angekündigt waren und diese andernorts schon allzu oft für Frust bei Nazi-Aufmärschen gesorgt hatten.(2) Außerdem war bereits im Vorfeld klar, dass die ganz große Provokation ausbleiben würde. Zwei Tage zuvor hatte die Polizei bekannt gegeben, dass sie die ursprünglich angemeldete Route nicht genehmigen würde. Eigentlich wollten die Nazis gerade durch den Teil von Kreuzberg marschieren, der seit Jahrzehnten als Inbegriff für „Multikulti“ und linke, antirassistische und antifaschistische Politik gilt, vorbei an Orten, die in den letzten anderthalb Jahren zu Symbolen für die Selbstermächtigungsversuche von Refugees geworden waren: Vom Moritzplatz zum bereits nicht mehr existenten Refugees-Camp am Oranienplatz, durch die Oranienstraße, an der von Refugees besetzten Gerhard-Hauptmann-Schule vorbei, durch die Reichenberger Straße zum Kottbusser Tor.

Die letztlich genehmigte Route sollte in Mitte an der Jannowitzbrücke starten, über Heinrich-Heine-Straße und Moritzplatz ein Stück durch Kreuzberg und dann über Oranienstraße und Rudi-Dutschke-Straße zurück nach Mitte. Die Neonazis kamen allerding nur etwa 140 Meter weit und wurden durch eine Massenblocke an der Kreuzung Heinrich-Heine-Straße/Köpenicker Straße gestoppt. Nach quasi erzwungener Zwischenkundgebung zogen sie schließlich zurück zur Jannowitzbrücke. Da auch mögliche Alternativrouten durch Menschenmassen blockiert waren, wurde die Veranstaltung aufgelöst. Anstatt des geplanten Marsches durch Kreuzberg blieb den Nazis nur ein Spaziergang von der Länge eines Häuserblocks in Berlin-Mitte. Scheinbar war Sebastian Schmidtke der Verlauf der Stadtteilgrenzen jedoch nicht bekannt, begrüßte er doch bereits zum Auftakt an der Jannowitzbrücke die anwesenden Neonazis fälschlicherweise „auf der Kreuzberger Seite, nicht im Friedrichshain momentan”. Nicht nur Schmidtke wiederholte diesen Fehler noch einmal bei der Zwischenkundgebung. Chistoph Drewer aus Dortmund schrieb am nächsten Tag auf seinem Facebook-Profil: „Gestern haben wir unsere Berliner Kameraden bei der Demonstration in Kreuzberg unterstützt. Es war eine gelungene Tour! Immer wieder gerne!

Doch genau daran hatten die insgesamt etwa 6000 Menschen die Nazis mit überwiegend friedlichen Blockaden gehindert. Lediglich in einer Seitenstraße kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Gegendemonstrant_innen und der Polizei, die einige Festnahmen zur Folge hatten.

Kaum Gegenproteste in Adlershof

Die Nazis wollten sich jedoch offenkundig mit dieser Schmach nicht zufrieden geben und Sebastian Schmidtke seine aktionsorientierte und „schlagkräftige” Unterstützung aus Dortmund, Hamburg, Thüringen, etc. so nicht nach Hause schicken. Relativ schnell nachdem die Nazis mit der S-Bahn abgefahren waren, wurde bekannt, dass Schmidtke spontan einen Aufmarsch in Adlershof angemeldet hatte. An dieser beteiligten sich noch etwa 90 Neonazis. Neben zahlreichen Polizist_innen und einigen Pressevertreter_innen waren hier jedoch nur vereinzelt wahrnehmbare Gegendemonstrant_innen vor Ort. Die Neonazis konnten so nahezu ungestört durch Adlershof marschieren und gegen die dort geplante Unterkunft für Geflüchtete hetzen. Auffällig war, dass die Nazis nicht nur auf Widerspruch stießen, sondern von einigen Anwohner_innen Zustimmung erhielten und sich einige vereinzelt gar einreihten. Erst am Endpunkt der Demo am S-Bahnhof Spindlersfeld waren einige Antifaschist_innen vor Ort, die lauthals ihren Protest artikulierten.

Michael Fischer aus Tannroda bei Weimar (Thüringen) beim Spontan-Aufmarsch in Adlershof [(c) apabiz] Aufmarsch mit Fahnen in Adlershof nach dem gescheiterten Versuch in Kreuzberg und Mitte [(c) apabiz] Fronttransparent des Spontan-Aufmarsches in Adlershof mit den NPDlern Ronny Zasowk (ganz links) und Sebastian Schmidtke (rechts daneben) [(c) apabiz] Der Brandenburger NPDler Maik Fischer (Bildmitte) und dahinter Dennis Giemsch (Vorsitzender Die Rechte NPD und früherer NWDO-Kader) [(c) apabiz]

 

Wohl als Reaktion auf die Ereignisse dieses Tages zog die Berliner NPD um Schmidtke wenige Tage später die Anmeldung für einen Aufmarsch am 1. Mai in Berlin zurück. Schmidtke und andere nahmen stattdessen am NPD-Aufmarsch in Rostock teil, wo insgesamt etwa 350 Nazis aufmarschierten. Außerdem gab es Nazi-Aufmärsche am 1. Mai in folgenden Städten: Dortmund (490 Teilnehmende), Plauen (400), Kaiserslautern (100) und Duisburg (100)

 

 

(1) Das apabiz hat zu den Ereignissen am und um Nazi-Aufmarschversuch in Kreuzberg am 14. Mai 2011 ein umfangreiches Dossier erstellt, das hier zu finden ist: http://www.blog.schattenbericht.de/files/2011/05/apabiz-dossier-14Mai2011-Berlin.pdf

(2) Eine Einschätzung zur derzeitigen Demonstrationspolitik der Neonazis erschien im apabiz-Rundbrief monitor #64 und ist außerdem hier zu finden: http://www.blog.schattenbericht.de/2014/04/grossaufmarsch-ade-proteste-gegen-neonazi-aufmaersche-zeigen-wirkung/

 

Hinweis:

Sowohl vom Aufmarsch-Versuch in Kreuzberg und Mitte als auch dem Spontan-Aufmarsch in Adlershof am 26. April 2014 hat das apabiz ein umfangreiches Bildmaterial sowie Tonaufnahmen der Redebeiträge. Dies kann bei Interesse eingesehen und genutzt werden.

Gericht erklärt Schmidtke zu einem der Köpfe von NW-Berlin

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Heute wurde der Berliner NPD-Landesvorsitzende Sebastian Schmidtke in Berlin nun zum dritten Mal binnen kürzerer Zeit zu einer mehrmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt. Diesmal könnte die Gerichtsentscheidung allerdings weitreichende Folgen für ihn haben: Das Gericht war in seiner Urteilsbegründung fest davon überzeugt, dass Schmidtke „ganz klar an der Organisationstruktur“ der Neonazi-Website www.nw-berlin.net beteiligt gewesen ist. Jahrelang hatte er geleugnet mit dem rechten Aktionsnetzwerk etwas zu tun zu haben, das im Internet strafbare Inhalte verbreitete und Nazigegner bedrohte.

Gastbeitrag von Theo Schneider. Dieser Artikel erschien zuerst am 19. Mai 2014 auf dem Störungsmelder-Blog.

Sebastian Schmidtke (rechts), Vorsitzender NPD-Berlin und führender Kopf des Nationalen Widerstands Berlin (NW Berlin) und Ronny Zasowk (links), NPD Brandenburg und NPD-Bundesvorstandsmitglied bei einer Wahlkampfkundgebung in Marzahn-Hellersdorf am 17. Mai 2014

Sebastian Schmidtke (rechts im Bild), Vorsitzender NPD-Berlin und führender Kopf des Nationalen Widerstands Berlin (NW Berlin) und Ronny Zasowk (links neben Schmidtke), NPD Brandenburg und NPD-Bundesvorstandsmitglied, bei einer Wahlkampfkundgebung in Marzahn-Hellersdorf am 17. Mai 2014 (Foto: Christian Ditsch/version-foto.de)

Jahrelang war die Webseite das zentrale Portal der militanten Berliner Neonaziszene. Es wurden Aktionsberichte des Netzwerks publiziert, der Nationalsozialismus verherrlicht und rassistische Inhalte verbreitet. Regelmäßig kam es zu strafbaren Inhalten, darunter Gewaltaufrufen und einer steckbriefartigen Auflistung von linken Einrichtungen und politischen Gegnern, teilweise mit Fotos und Privatadressen. Es folgte die Indizierung der Seite im April 2011 und die dauerhafte Abschaltung im Dezember 2012 sowie Ermittlungen der Polizei hinsichtlich der Betreiber – bislang ohne Erfolg. Sollte das heutige Urteil rechtskräftig werden, drohen dem Berliner NPD-Chef nun auch juristische Konsequenzen für diese Inhalte. Für die Betroffenen hatte die Nennung auf der Seite samt Aufruf zu Straftaten Bedrohungen, Sachbeschädigungen und sogar Brandanschläge zur Folge.

Hintergrund des heutigen Verfahrens war der Versuch von Schmidtke, über seinen damaligen Anwalt Ingmar Knop eine einstweilige Verfügung gegen das Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses Udo Wolf (Linke) zu erwirken. Diese sollte den Linken-Politiker verpflichten, zukünftig nichtmehr zu behaupten, Schmidtke wäre einer der Köpfe des „Nationalen Widerstand Berlin“. Zur Untermauerung gab Schmidtke eine eidesstattliche Versicherung ab, in der er angab, „zu keinen Zeitpunkt war ich Mitglied der Organisation »Nationaler Widerstand Berlin«, insbesondere hatte ich in dieser Organisation keinerlei Funktion oder herausgehobene Bedeutung.“ Allerdings zog er den Antrag damals selber zurück, nachdem das Gericht bereits zu diesem Zeitpunkt auf die geringen Erfolgsaussichten hinwies. Jedoch gab der Berliner NPD-Vorsitzende nach Ansicht der Staatsanwaltschaft diese eidesstattliche Erklärung wissentlich falsch ab, was eine Straftat darstellt. Laut Anklage war er damals mit der Gruppierung NW-Berlin „eng verbunden und übte regelmäßig Tätigkeiten für diese aus.“

Um diese Erklärung drehte sich der heute Prozess vor dem Berliner Amtsgericht, ging im Kern jedoch um Schmidtkes Funktion für das Neonazinetzwerk. Seine Behauptung, damit nichts zu tun zu haben, widersprechen diverse Fakten, die seit Jahren gegen ihn im Raum stehen: Er ist als presserechtlicher Verantwortlicher für diverse Flugblätter und Aufkleber des Zusammenschlusses genannt. Laut Schmidtke ohne sein Einverständnis. Auf den von ihm angemeldeten Aufmärschen hingen am Rednerpult und Lautsprecherwagen Transparente des NW-Berlin und der Internetadresse, vor denen er auch Reden hielt. Das wollte er nie bemerkt haben oder sich daran nicht erinnern können. In einem Interview bezeichnete Schmidtke die Seite als „unsere Weltnetzpräsenz“, seine private Handynummer war unter Demonstrationsaufrufen zu finden. Auch hier versuchte er sich rauszureden. Bei einer Razzia im März 2012 fand die Polizei sogar private Urlaubsfotos von Schmidtke und seiner damaligen Lebensgefährtin Maria Fank (Berliner RNF-Vorsitzende) am Strand, auf denen Textbotschaften aus Steinen in Sand gelegt waren. Eine davon war die Adresse der NW-Berlin Homepage. Wie das zustande kam, wollte Schmidtke angeblich nicht mehr wissen.

So überrascht das Urteil heute gegen den langjährigen Neonazifunktionär wenig. Das Gericht war überzeugt: „Sie haben an dieser Organisation mitgewirkt. [...] Diese Plattform muss verwaltet werden, daran waren sie nicht unerheblich beteiligt.“ Weiter heißt es in der Urteilsbegründung: „Wir sind überzeugt, dass sie diese Internetadresse organisiert haben. […] Das sie damit nichts zu tun haben, stimmt nicht.“ In seinem Strafmaß blieb das Gericht jedoch unter der Forderung der Staatsanwaltschaft und verurteilte Schmidtke zu drei Monaten Haft auf zwei Jahre Bewährung.

Das Urteil heute stellt somit die dritte Bewährungsstrafe für Schmidtke innerhalb kürzerer Zeit dar. Erst Ende letzten Jahres war er wegen Volksverhetzung zu acht Monaten auf Bewährung für einen Koffer voller Neonazi-CDs in seinem damaligen Laden „Hexogen“ verurteilt worden. Letzten Freitag folgte ein weiteres Urteil zu zehn Monaten auf Bewährung für volksverhetzende Texte auf einer „NPD-Schulhof CD“. Ob nun weitere Verfahren aus der gerichtlichen Zuordnung Schmidtkes zur Neonazihomepage folgen, wird sich zeigen.

Erstaunlich war, dass der Großteil dieser Informationen über Schmidtkes Rolle bei NW-Berlin nicht von den Beamten des Berliner LKA selbst ermittelt worden war, sondern über den Abgeordneten Wolf erst eingebracht werden mussten. In seiner Zeugenvernehmung sagte er, die Informationen stammten von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus, Journalisten und Diskussionen im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses. Seit Jahren zieht sich in Bezug auf NW-Berlin die Kritik an schleppenden Ermittlungen und fehlenden juristischen Konsequenzen wie ein roter Faden durch die Debatte. Während in NRW mit „NW Dortmund“ ein ähnliches Netzwerk 2012 zerschlagen wurde, beklagten Berliner Sicherheitsbehörden regelmäßig ihre Ahnungslosigkeit über den hiesigen Zusammenschluss.

Pro Deutschland provoziert mit rassistischer Kundgebung gegen das Refugee-Protestcamp am Oranienplatz

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Pro Deutschland provoziert mit rassistischer Kundgebung in unmittelbarer Nähe des Refugee-Camps am Oranienplatz in Kreuzberg. Über 250 Protestierende stören die Kundgebung erfolgreich. 200 Polizeikräfte schützen die rechte Veranstaltung mit gerade einmal 3 Teilnehmern. Stephan Böhlke (Pro Deutschland) erhält Anzeige wegen Volksverhetzung.

Stephan Böhlke (Bildmitte), Torsten Meyer (rechts) und der dritte Pro Deutschland-Aktivist bei nicht hörbarer Kundgebung in Kreuzberg

Stephan Böhlke (Bildmitte), Torsten Meyer (rechts) und der dritte Pro Deutschland-Aktivist am Rande der nicht hörbaren Kundgebung in Kreuzberg. Böhlkes Manuskript wurde später von der Polizei nach einer Anzeige wegen Volksverhetzung beschlagnahmt. (c) Christian Ditsch / version-foto.de

Am Sonntag, den 16.03.2014 hielt der Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg der extrem rechten Partei Pro Deutschland eine Kundgebung in unmittelbarer Nähe des zu diesem Zeitpunkt noch besetzten Oranienplatzes angemeldet. Das Motto der Veranstaltung lautete: „Gefahrenquelle Oranienplatz – gegen die verantwortungslose Politik von Bezirksbürgermeisterin Hermann“. Zum Veranstaltungsbeginn fanden sich lediglich 3 Teilnehmer ein, einer davon Stephan Böhlke, Bezirksbeauftragter für Friedrichshain-Kreuzberg von Pro Deutschland und gleichzeitig Anmelder und einziger Redner. Neben ihm waren noch Torsten Meyer sowie eine weitere Person vor Ort, die die Ansprache Böhlkes sowie das Geschehen drumherum filmte. Auffällig und sehr untypisch war, dass sich weder Lars Seidensticker noch Manfred Rouhs, noch andere Politprominenz des Berliner Landesverbandes blicken ließen, obwohl diese sonst bei fast allen Veranstaltungen der Partei anwesend sind.
Auch die sonst üblichen Partei-Plakate und -Transparente hatten die drei Pro Deutschen nicht dabei. Als Statement wurden jedoch zwei kleine Deutschlandfahnen gehisst, die Stephan Böhlke gegen Ende der Kundgebung provozierend in Richtung der Gegenprotestant_innen schwenkte. In Ermangelung der normalerweise bei Kundgebung von Pro Deutschland üblichen Verstärkeranlage musste sich Böhlke mit einem Megafon zufrieden geben. Er konnte sich damit jedoch nicht gegen die über 250 Gegendemonstant_innen durchsetzen, die ihren Unmut in Hörweite lautstark und anhaltend kundtaten. Böhlkes Redebeitrag war daher ausschließlich für die in unmittelbarer Nähe Stehenden verständlich. Dies waren zum überwiegenden Teil Journalist_innen und Polizist_innen, aber auch vereinzelt Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses von Die Linke und den Piraten.

Die Polizei war mit einem erheblichen Aufgebot vor Ort und schirmte Böhlke und seine 2 Begleiter mit etwa 200 Beamt_innen und Hamburger Gittern von den Gegenprotesten ab. Böhlke ließ in seinem Redebeitrag rassistischen Stereotypen über die „Dealer des  Görlitzer Parks“ freien Lauf gelassen. Mit infamen Lügen difammierte er zudem die Besetzer_innen des Oranienplatzes als „skrupellose und gewissenlose Kriminelle“, durch die es angeblich „in schöner Regelmäßigkeit zu schwersten Straftaten – versuchte Totschläge, Körperverletzungen, sexuelle Belästigungen usw.“ käme. Die Verantwortung für diese Situation gab Böhlke der Bezirksbürgermeisterin Hermann (Die Grünen). Der Berliner Abgeordnete Hakan Tas (Die LINKE) erstattete aufgrund der rassitischen Diffamierung Anzeige gegen Stephan Böhlke wegen Volksverhetzung. Nach der Kundgebung beschlagnahmte die Polizei das Redemanuskript.

Laute und unmissverständliche Proteste von etwa 250 Gegendemonstrant_innen Die geradezu lächerliche Kundgebung mit drei Teilnehmenden wurde dennoch eigens akribisch dokumentiert. In Ermangelung von den Gegendemonstrant_innen gehört zu werden, versuchte Stephan Böhlke anderweitig zu provozieren.

»Bürgerbewegung Pax Europa« wählt René Stadtkewitz zum Vorsitzenden

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RECKLINGHAUSEN – Die anti-islamische Bürgerbewegung Pax Europa (BPE) hat am Samstag [14.6.2014] den Ex-Vorsitzenden der Partei Die Freiheit, René Stadtkewitz, zu ihrem neuen Bundesvorsitzenden gewählt. Das berichtet das rassistische Blog Politically Incorrect (PI-News). Im Vorstand sind zudem Personen vertreten, die in der Vergangenheit bei pro Köln bzw. pro NRW oder bei der FPÖ aufgetreten sind.
Ein Gastbeitrag von NRW rechtsaußen. Dieser Artikel erschien zuerst am 18. Juni 2014 auf dem NRW rechtsaußen-Blog.

Die BPE, die am Samstag in Recklinghausen tagte, ist 2008 als Zusammenschluss verschiedener älterer Splittergruppen entstanden. Sie wendet sich gegen eine angebliche »Islamisierung Europas«, hält den Islam für ein »totalitäre(s) Glaubens-, Rechts- und Politiksystem« und erklärt »die leichtfertige Gewährung von Religionsfreiheit« für Muslime für »selbstzerstörerisch«. Sich selbst bezeichnet sie als »Menschenrechtsorganisation, die sich für den Schutz und Erhalt der allgemein gültigen Menschenrechte« einsetzt. Wie sich ihre Kritik an der »leichtfertige(n) Gewährung von Religionsfreiheit« für Muslime mit dem Einsatz für die Menschenrechte verträgt, zu denen bekanntlich die Religionsfreiheit zählt, bleibt unklar. Die BPE äußert dazu lediglich, nach ihrer Auffassung handele es sich beim Islam nicht »um eine bloße Religion aus unserem modernen Religionsverständnis heraus«.

René Stadtkewitz

Der neue BPE-Vorsitzende René Stadtkewitz, der dem Bundesvorstand der Organisation bereits zuvor als stellvertretender Vorsitzender angehörte, kommt ursprünglich aus der Berliner CDU, für die er kommunalpolitisch tätig war. Im Oktober 2010 gründete er die anti-islamische Partei »Die Freiheit« wurde zunächst von dem niederländischen Rechtsaußenpolitiker Geert Wilders unterstützt – im Rahmen seiner Bemühungen, europaweit ein Netzwerk anti-islamischer Zusammenschlüsse zu schaffen, das jenseits altbekannter Organisationen der äußersten Rechten wie der FPÖ, dem Vlaams Belang oder der »pro«-Clique in NRW verankert sein sollte. »Die Freiheit« ist ebenso gescheitert wie Wilders’ Versuch insgesamt; Stadtkewitz trat im Oktober 2013 vom Vorsitz der Partei zurück.

Der neue Vorsitzende der BPE, Rene Stadtkewitz, hier im September 2010 bei einer Kundgebung in Berlin-??

Der neue Vorsitzende der BPE, René Stadtkewitz, hier im August 2009 bei einer Kundgebung der BPE in Berlin-Dahlem. (c) apabiz

Siebenköpfiger Vorstand

In den Bundesvorstand gewählt wurden in Recklinghausen unter anderem auch Morris Barsoum, Marco Hasse und Elisabeth Sabaditsch-Wolff. Barsoum stand zumindest in der Vergangenheit in engem Kontakt zu »pro Köln”; im November 2009 trat er auf einer Kundgebung der Organisation gegen den Bau der Moschee in Köln-Ehrenfeld auf, 2010 nahm er an ihrem Neujahrsempfang teil. Marco Hasse aus Dülmen (Kreis Coesfeld) fungierte zumindest zeitweise – einer Mitteilung von »pro NRW« vom 13. August 2008 zufolge – als deren »Beauftragter für das Münsterland«. Sabaditsch-Wolff ist 2011 in Wien wegen »Herabwürdigung religiöser Lehren« verurteilt worden. Auf einem Seminar für FPÖ-Jungwähler hatte sie sich, wie die österreichische Tageszeitung Der Standard berichtet, »abfällig über den Propheten Mohammed geäußert«, ihm einen »relativ großen Frauenverschleiß« unterstellt und auch noch angedeutet, er habe »gerne mit Kindern ein bisschen was« gehabt. Das Urteil gegen sie ist vor wenigen Monaten vom Obersten Gerichtshof Österreichs bestätigt worden. Weitere Mitglieder im neuen Vorstand sind Günter Wielpütz, Frank Rost und Alexander Heumann.

Seriös im Hintergrund

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Zwei Westberliner Urgesteine der extremen Rechten reichen seit Jahrzehnten ihre helfenden Hände, wenn es seriöser Ansprechpartner bedarf. Hans-Ulrich Pieper und Wolfgang Seifert waren 2001 Kandidaten für »Die Republikaner«. Später unterstützten sie die NPD.

Hans-Ulrich Pieper (rechts), NPD-Kandidat für Spandau bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl 2011) und Udo Voigt (damaliger NPD-Bundesvorsitzender) bei der Fusionsfeier von NPD und DVU am 15. Januar 2011 in Berlin-Lichtenberg.

Hans-Ulrich Pieper (rechts), NPD-Kandidat für Spandau bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl 2011) und Udo Voigt (damaliger NPD-Bundesvorsitzender) bei der Fusionsfeier von NPD und DVU am 15. Januar 2011 in Berlin-Lichtenberg.

Gastbeitrag von Fabian Kunow (Der Artikel erschien zuerst in der rechte rand 148/2014)

Politische Akteure, die sich dauerhaft etablieren wollen, benötigen eine Infrastruktur, wie beispielsweise Immobilien. Deshalb muss Berlins Neonaziszene einige schmerzliche Rückschläge hinnehmen: die Schließung der Kneipe »Zum Henker«, der baldige Verlust des Nationalen Widerstand-Stützpunkts in der Lückstraße in Berlin-Lichtenberg und die Aufgabe des nationalen Jugendzentrums im Süden des Bezirks Neukölln, das sich in einem Gewächshaus befand. Für die NPD und andere Protagonisten der extremen Rechten ist es in Berlin schwierig, ohne Probleme öffentliche Räume oder private Veranstaltungsorte anzumieten. Kommt es dennoch zu Saalveranstaltungen der extremen Rechten, hat oft einer der beiden Westberliner Urgesteine Hans-Ulrich Pieper und Wolfgang Seifert die Hände mit im Spiel. Beide treten als Unternehmer auf und wirken auf Außenstehende so gar nicht wie klischeehafte »Rechtsextreme«, was ihnen bei der Bereitstellung von Infrastruktur in die Hände spielt.

Piepers »Dienstagsgespräche«

Eigentlich ist Pieper Historiker. Der 1948 geborene tritt aber auch als Politik- und Unternehmensberater auf. Gegenüber dem Wirt der in Berlin-Charlottenburg ansässigen »Filmbühne am Steinplatz« gab er sich als »Geschäftsführer einer Agentur für Konferenzen und Kongresse« aus. Hier hatte er sich seit 2013 zu mindestens drei »Dienstagsgesprächen« getroffen, bevor er die Örtlichkeit Anfang dieses Jahres aufgrund von Presseberichten verlor. Das »Dienstagsgespräch« findet an jedem zweiten Dienstag im Monat statt und firmiert mittlerweile auch als »Diskurs + Dialog – Gesprächskreis auch für politisch nicht korrekte Kommunikation«. AdressatInnen sind nach eigenem Bekunden »Führungskräfte der Wirtschaft, der Medien, Verwaltung und der Streitkräfte«. Die von Pieper seit den frühen Neunzigerjahren organisierten Abendrunden sollen »dem besseren Kennenlernen in ungezwungener Atmosphäre dienen«. Die großen Namen der Wirtschaft oder die Rechtsausleger der bürgerlichen Parteien wie Heinrich Lummer, Jürgen Möllemann oder Egon Bahr kommen, anders als früher, nicht mehr zu ihm. So muss er bei seinen Veranstaltungen mit saftigen Eintrittspreisen im Ambiente einer »geschlossenen Gesellschaft« auf die üblichen Redner der extremen Rechten zurückgreifen. Doch selbst dann gehen Rechtspopulisten wie der für Mai 2013 angefragte Manfred Rouhs von der Partei »Pro Deutschland« auf Distanz. Er witterte hinter der Einladung einen Versuch, seine Partei »trickreich mit rechtsextremen Bezügen zu kompromittieren«.

Piepers Starredner im September 2013 bekam erst gar keine Möglichkeit aufzutreten: er hatte den britischen Buchautor und Holocaust-Leugner David Irving eingeladen. Diesem war aber die Einreise untersagt worden, solange der Bayerische Verwaltungsgerichtshof noch nicht entschieden hat, ob Irvings Aufenthaltsverbot in Deutschland erloschen ist. Neben der Organisation des »Dienstagsgesprächs«, bei dem schon NPD-Politiker wie Udo Voigt und Holger Apfel ein Podium bekamen oder als Zuhörer zu Gast sind, hilft Pieper der NPD auch auf anderem Wege. 2001 wurde er einer der Spitzenkandidaten der NPD für die Wahl zum Abgeordnetenhaus. Er sollte die Bürgerlichen im Westteil der Stadt ansprechen. Allerdings ging das Ergebnis mit 2,2 Prozent der Stimmen in seinem Bezirk Spandau, wie auch im Berliner Durchschnitt, zurück. Zudem begleitete er NPD-Funktionäre zu Parteiveranstaltungen der Konkurrenz, um die WählerInnenschaft im Rechtsaußen-Reservoir zu umwerben. So besuchte Pieper zusammen mit NPD-Kader Uwe Meenen am 14. April
2013 den AfD-Bundes- und Gründungsparteitag in Berlin, während vor der Tür der aktivistische Teil der NPD eine Kundgebung abhielt.

Vom Vermieter zum »Organisationsbüro«

Wolfgang Seifert erwarb 1998 nach mehrjährigem Leerstand das zwangsarisierte Grundstück der Villa Garbáty in der damaligen rechten Hochburg Pankow. Von 1999 bis 2003 vermietete er das Gelände an «Die Republikaner« (REP), die dort ihre Bundeszentrale errichteten. In dieser Zeit fanden dort Parteitreffen statt. 2001 und 2006 kandidierte er bei den Berliner Abgeordnetenhauswahlen für die Partei und ebenfalls im Jahr 2001 war er Vorsitzender des REP-Bundesschiedsgerichts und geschäftsführender Vorsitzender der parteinahen Gottlieb-Fichte-Stiftung. Als sich die REPs immer stärker im Niedergang befanden, kam es zum Richtungsstreit. Der Berliner Landesverband galt mit seinem Spitzenkandidaten 2006 dem konkurrierenden Parteiflügel um den Düsseldorfer Björn Clemens als zu NPD-nah. Tatsächlich finden sich in der Berliner NPD heute einige Funktionäre mit REP-Biographien.
Die Telefonnummer der von Seifert betriebenen Zeitarbeitsfirma »Allround Service GmbH Büro- und Hostessendienst« war 2007 gleichzeitig der Kontakt zum »Organisationsbüro« des »Dienstagsgesprächs« von Pieper. Außerdem soll die Firma 2009 als Quartiermacher für den NPD-Bundesparteitag in Berlin-Reinickendorf gedient haben. Im Winter 2010/2011 stellte Seifert ein Druckereiangebot für Plakate auf und gab
dieses an die NPD weiter.
Eines wird also deutlich: Protagonisten wie Pieper und Seifert sind für Parteien der extremen Rechten im Hintergrund essenziell, wenn sie das Korsett einer subkulturell geprägten Szene verlassen wollen.

Wo Schüler sich mit Säbeln schlagen

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Rechte Umtriebe in akademischen Burschenschaften sind seit mehreren Jahren ein Thema. In Berlin will sich am kommenden Wochenende nun der burschenschaftliche Nachwuchs des Allgemeinen Pennälerrings zum jährlichen, bundesweiten „Pennälertag“ mit Säbelmensur, Convent, Festkommers und Grillen bei der Berliner Burschenschaft Gothia treffen. Das letzte Jahrestreffen des extrem rechten APR in Hamburg, laut eigenen Angaben von 9 Mitgliedsbünden und über 40 Teilnehmern besucht, hatte breiten Protest hervorgerufen.

Gastbeitrag von Felix Krebs (der Artikel erschien zuerst bei publikative.org am 1. Juli 2014)

Screenshot Facebook-Seite Burschenschaft Gothia

Dem Allgemeinen Pennälerring (APR) gehören ein Dutzend Schülerburschenschaften, hauptsächlich aus Norddeutschland, an. Diese bezeichnen sich selbst als „national-freiheitliche und wehrhafte Pennalkorporationen“ und bekennen sich zum burschenschaftlichen Prinzip, wie es für die studentischen Verbindungen die DB vertritt. Ihren eigenen Nachwuchs „keilen“ (werben) die braunen Pennäler außer im rechten Spektrum natürlich an den Schulen, wo sie vertreten sind. „Der Keilbetrieb wird direkt in den Schulklassen umgesetzt, wobei hier leider ein schlechter Zeitgeist herrscht“, berichtete beispielsweise die Gymnasiale Burschenschaft Germania Kiel für das Jahr 2012. Aus dieser Pennalie kommt auch der aktuelle Sprecher des APR, Lennart Krakow. Ein Hans Dampf in allen Gassen, der zwischen Burschenschaften, Identitärer Bewegung und anderen rechten Gruppierungen Kontakte knüpft.

Gegründet wurde der APR 1990 ursprünglich von fünf Pennalien, darunter die Pennale Burschenverbindung Teutonia Hamburgia über die der Hamburger Verfassungsschutz in einem vertraulichem Bericht 1993 schrieb, es handele sich bei der Teutonia um eine „eindeutig rechtsextremistische Verbindung“, der „auch ausschließlich Rechtsextremisten angehören.“ Kein Wunder, die Hamburger Teutonen veranstalteten damals mit anderen Burschenschaftern und Neonazis Wehrsportübungen in Niedersachsen.

Ein anderer APR-Bund, die Pennale Burschenschaft Chattia Friedberg zu Hamburg wird aktuell in den Berichten des Hamburger Geheimdienstes aufgeführt. In der jüngsten Vergangenheit fiel die Chattia durch Doppelmitgliedschaften mit der NPD auf. Gleich zwei Hamburger Chatten verloren wegen neonazistischer Aktivitäten ihren Job als Lehrer bzw. Filial-Leiter einer Bank: Der Banker, weil er 2008 einen braunen Bestseller namens „Blutzeugen“ über gefallene NS-Kämpfer in der Weimarer Republik veröffentlichte. Ein inzwischen aus der Szene ausgestiegener Chatte war 2010 für den Ordnerdienst der Hamburger NPD aktiv. Auch der Kameradschaftsführer und aktuelle Vize der thüringischen NPD, Thorsten Heise, taucht unter dem Tarnnamen „Ulex“ bei der Chattia auf. Er hatte nicht nur nachgewiesene Kontakte zu Beschuldigten im NSU-Prozess, sondern 2012 war auch eine Wanderung der Chattia zu ihrem Alten Herren Heise geplant.

Angesichts von antifaschistischen Protesten und geheimdienstlicher Beobachtung verwundern die Benutzung von Tarnnamen und konspiratives Verhalten nur wenig. Schließlich befinden sich unter den Alten Herren des APR oder ihrer Einzelbünde nicht nur Neonazis, sondern auch viele Akademiker mit honorigen Berufen, die um ihren Ruf fürchten. „Wir befähigen … junge Menschen zu Führungsaufgaben in der nationalen Arbeit und ihrem späteren Berufsleben“, beschreibt der APR seine elitären Ziele. Im Falle von Michael Büge (Erste Berliner Schülerverbindung Iuvenis Gothia) wurde ein APR-Bursche sogar zeitweilig Staatssekretär. Dass die Chattia mit Heise einen Alten Herren ohne Abitur in ihren Reihen hat, ist die Ausnahme, bei ihr dürfen sogar Frauen mitmachen. Die Aufkündigung des Maturitätsprinzips und die Mischung der Geschlechter sind allerdings im APR umstritten.

Völkische Ideologie

Als quasi programmatische Grundlage veröffentlichte der APR 2005 ein „Geleitheft der konservativen Jugend – Identitätssuche, Pflichterfüllung und Rebellion“. Die schwülstigen Texte strotzen nur so vom Bekenntnis zu Männerbund, Elite, Führertum und völkischem Nationalismus. „Jugend unseres Volkes!…Erhebe dich aus den Trümmern unserer Zeit, befreie dich von allem, was dich peinigt – breite deine Flügel über unser ew‘ges Vaterland und benetze sie mit deinem Schweiß und Blute … ignoriere die Schwätzer und achte deine Führer!“, heißt es dort im Epilog. Gepriesen wird auch das wohl bekannteste Lied des Jungvolks in der Hitler-Jugend (HJ) „Auf hebt unsre Fahnen“, in dem Werte besungen werden, welche als Vorbild für die Pennäler gelten sollen. Sogar aus Hitlers Rede 1935 vor 50.0000 HJ-Angehörigen wird, allerdings leicht abgeändert, zitiert. „Zäh wie Leder – schnell wie die Windhunde – hart wir Kruppstahl“, so müsse auch die heutige „konservative“ Jugend laut APR-Heft sein. Die Weltkriegsgeneration habe diese Unbedingtheit noch unter Beweis gestellt; und was auch heute noch gelte, „im Zweifelsfalle steht hier die Ehre höher als das Leben.“

In klassisch kulturpessimistischem Duktus mahnt man, die Pennäler seien verpflichtet, „den hohen geistigen und sittlichen Anforderungen des Deutschtums letztendlich treu zu bleiben – auf dass wir nicht in Kulturlosigkeit, Barbarei und Dekadenz traurig herabsinken!“. Wobei das „Deutschtum“ natürlich völkisch abgeleitet wird. Als letztendliches Ziel des APR gilt: „das Reich aller Deutschen und die abendländische Erneuerung“ -  Schöner könnte es die NPD kaum formulieren.

Mit Säbeln auf den nackten Oberkörper

Für Samstagmorgen ist vom APR eine blutige Säbelmensur nach der „Linzer Pauk- und Ehrenordnung von 1958“ (LPO) geplant. Bei den ritualisierten Körperverletzungen wird nicht wie bei den studentischen Verbindungen auf den Kopf geschlagen, sondern mit stumpfem Säbeln auf den nackten Oberkörper. Die entstehenden Riss- und Quetschwunden bleiben so anschließend unter der Kleidung verborgen, denn Schülermensuren waren früher verboten. In der LPO ist auch geregelt, wer überhaupt die Säbelduelle austragen darf: Schüler, „die das 14. Lebensjahr vollendet haben, sowie alle Personen, welchen der ‚Allgemeine Ehrenkodex’ die Waffenehre zuspricht,“ es „ gelten die Bestimmungen des Waidhofner Abkommens“. Mit den im österreichischem Waidhofen gefassten Prinzipien wurde von deutschnationalen und völkischen Verbindungen Ende des 19. Jahrhunderts beschlossen, „in Anbetracht der vielen Beweise, die auch der jüdische Student von seiner Ehrlosigkeit und Charakterlosigkeit gegeben, und da er überhaupt der Ehre nach unseren deutschen Begriffen völlig bar ist, fasst die heutige Versammlung deutscher wehrhafter Studentenverbindungen den Beschluß: Dem Juden auf keine Waffe mehr Genugtuung zu geben, da er deren unwürdig ist!“. Bei den Schülerburschenschaften ist der radikale Antisemitismus, den die meisten Verbindungen vom Wilhelminismus bis zum Ende des Nationalsozialismus propagierten, bis heute virulent. Der APR beansprucht weiterhin durch seine Erziehung, deren Teil die Mensur ist, militärische und charakterbildende Werte zu schaffen, weil der moderne, selbstgefällige Jugendliche der Massengesellschaft „abgestiegen (ist) vom Krieger und Arbeiter zum Sportler und Ästhet. Dies ist gleichbedeutend mit Charakterschwäche und Tugendlosigkeit“.

Pennale und akademische Burschenschaften

Die völkischen Schüler sind eng vernetzt mit der DB und hier besonders mit deren extrem rechten Kartell Burschenschaftliche Gemeinschaft (BG), das immer wieder durch geplante „Arier-Beschlüsse“ in die Schlagzeilen gerät. Da die finanzschwachen Schülerverbindungen meistens keine eigenen Häuser haben, stellen DB-Burschenschaften oft ihre Räume zur Verfügung. Diesmal stellt die Berliner Burschenschaft Gothia das Haus ihrer Nachwuchs-Pennalie Iuvenis Gothia, Wahlspruch „Deutsch, Frei und Stark“, für die Ausrichtung der APR-Tagung zur Verfügung.

Die akademischen Burschenschaften leisten auch finanzielle sowie ideelle Unterstützung und halten mit den Pennalien gemeinsame Veranstaltungen ab. Die akademischen Verbindungen wissen, dass sie sich hier einen verlässlichen rechten Nachwuchs heranbilden. So war in der Zeitung der DB, den Burschenschaftlichen Blättern 1/2004 zu lesen: „Eine Pennalie als ‚Vorfeldorganisation’ zur Ausbildung des couleurstudentischen Nachwuchses sichert vielen einen vollen Fuchsenstall“. Füchse nennt man die jungen Anwärter in Burschenschaften. Viele Alte Herren des APR sind dementsprechend Mitglieder in akademischen Burschenschaften und meistens sind es die am äußersten rechten Rand. Auch der notorische Norbert Weidner, dessen rechte burschenschaftliche Aktivitäten mittlerweile bundesweit bekannt sind, ist Alter Herr des APR-Bundes „Pennale Burschenschaft Hoffmann von Fallersleben“.

Umstrittener Veranstaltungsort

Auch die Burschenschaft Gothia, die ihr Haus in der Königstraße zur Verfügung stellt, ist seit Jahren umstritten. Sie wirbt mit dem Spruch „politisch unkorrekt seit 1877“ und gilt in der Verbindungsszene als „braune Wolfsschanze aus Zehlendorf“, in Anspielung auf Hitlers ehemaliges Hauptquartier.

In die Schlagzeilen geriet die Burschenschaft aber vor allem, weil ihrem Alten Herrn Michael Büge die Burschenehre seiner beiden Gothias wichtiger war, als die Staatsräson. Im Mai letzten Jahres wurde Büge deshalb als Staatsekretär in Berlin entlassen. Dass Fass zum Überlaufen brachte die Meldung, dass laut damaligem Semesterprogramm seiner Burschenschaft vor einigen Jahren eine „Kleine Deutsche Kunstausstellung“ mit Holzschnitten von belasteten NS-Künstlern zur Präsentation im Gothenhaus angekündigt wurde. Die Vernissage mit Sekt, Damenbegleitung und Einführung in die Werke von Dombrowski, Sluyterman und Warnecke wurde für Dezember 2006 beworben. Der Titel war eine direkte Anspielung auf die „Große Deutsche Kunstausstellung“, die Hitler 1937 eröffnete und die fortan bis 1944 jährlich in München unter seiner Schirmherrschaft stattfand.

Einen Monat zuvor war ins Burschenhaus der österreichische Neonazi Richard Melisch mit dem Thema „Der Verdrängungskampf um die letzten Ölreserven“ eingeladen worden. Einen Vortrag mit gleichem Titel hatte Melisch in der März-Ausgabe des NPD-Organs „Deutsche Stimme“ publiziert. In den neonazistischen Huttenbriefen erklärte er 2004 den Terror Bin Ladens zum „Freiheitskampf gegen die USA und den Zionistenstaat Israel“. Ebenfalls 2006 soll Melisch außerdem bei der Nazikameradschaft Märkischer Heimatschutz – Sektion Berlin referiert haben. 2005 wurde im Gothenhaus gar unter dem Titel „Verräter verfallen der Feme“ über die rechtsterroristische Organisation Consul berichtet, deren prominentestes Opfer Außenminister Walther Rathenau war.

Doch nicht nur Kunstwerke aus dem Dritten Reich und neonazistische Referenten wurden von der Gothia in ihren Semesterprogrammen schon beworben. Auch Michael Paulwitz, Stamm-Autor der neurechten Blattes Junge Freiheit, Erik Lehnert Geschäftsführer des konservativ-revolutionären Instituts für Staatspolitik, aber auch Norbert Geis (damals MdB-CDU) oder Ex-Minister Jörg Schönbohm wurden beispielsweise in den letzten zehn Jahren als Referenten präsentiert. Die Türen des Burschenhauses in der Berliner Königstraße scheinen weit geöffnet zu sein für alle die irgendwie rechts sind. Vom neonazistischen Chattia-Pennäler über neurechte Ideologen bis hin zum konservativen Spitzenpolitiker – alle sind willkommen.

Die AfD als „Staubsauger“ und „Kantenschere“ – Turbulenzen im jungkonservativen Lager

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Das erfolgversprechende Auftreten der AfD in der politischen Landschaft der Bundesrepublik Deutschland hat zu einer Debatte im jungkonservativen Lager geführt, in der gegensätzliche Positionen artikuliert wurden. Personelle Veränderungen hängen damit zusammen. Karlheinz Weißmann, die intellektuelle Führungsfigur im jungkonservativen Lager, ist aus der Redaktion der Sezession, der Zeitschrift des Instituts für Staatspolitik (IfS) ausgeschieden. Für das Juniheft hat er, zum ersten Mal nach rund elf Jahren, keinen Artikel verfasst. Auch auf dem Blog Sezession im Netz (SiN) wird er nicht mehr als Autor geführt. Die Junge Freiheit (JF), für die Weißmann regelmäßig schreibt, stellte ihn noch im April als wissenschaftlichen Leiter des IfS vor (JF 18/2014, 18), Anfang Juni wird auf diese Angabe verzichtet (JF 24/2014, 18). Damit scheint Weißmanns führende Rolle im IfS, das er zusammen mit Götz Kubitschek gegründet hat, beendet zu sein; solange es allerdings dazu keine offizielle Erklärung gibt, muss man dies noch mit einem Fragezeichen versehen. Möglicherweise wird es ein neues Arrangement auf veränderter Basis geben.

(Bild: attenzione-photo.com)

(Bild: attenzione-photo.com)

Gastbeitrag von Helmut Kellershohn [Artikel (aktualisierte Fassung, Juni 2014) zuerst veröffentlicht vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS)]

Im Kern geht es um die Haltung zur AfD und um die Frage, ob und, wenn ja, in welchem Ausmaß die AfD unterstützt werden kann und soll. Theoretisch gesprochen: Es geht um das ‚rechte’ Verständnis von Real- und Metapolitik. Zur Debatte steht aber auch das Verhältnis zwischen IfS und der Jungen Freiheit, die sich für die AfD von Anfang an publizistisch engagiert hat. – Im Folgenden gehe ich zunächst auf dieses Verhältnis ein, um dann im Weiteren die kontroversen Positionen der jungkonservativen Protagonisten zur AfD in ihrer Entwicklung zu skizzieren. Abschließend folgt eine Bewertung der derzeitigen Konstellation.

Zur Vorgeschichte (1)

Das im Jahr 2000 gegründete Institut für Staatspolitik (IfS) bildete zusammen mit dem Verlag Antaios (Leiter: Götz Kubitschek) und der Berliner Wochenzeitung Junge Freiheit (JF) den Kern eines Netzwerks von arbeitsteilig operierenden Einrichtungen, die sich auf unterschiedliche Aufgabenfelder spezialisierten und gleichzeitig miteinander kooperierten. Die politische Hauptaufgabe der JF sah Chefredakteur Dieter Stein darin, langfristig mit publizistischen Mitteln an der Bildung eines tragfähigen gesellschaftlichen Milieus für die Durchsetzung rechter Positionen auf parlamentarischer Ebene mitzuwirken. Es sei „höchste Zeit für die Formierung eines starken konservativ-freiheitlichen Widerlagers“, das in der Lage sei, die staatstragenden Parteien, insbesondere aber „die Union von rechts unter Druck“ (JF 41/2009, 1) zu setzen und eine Ausdifferenzierung des Parteiensystems nach rechts hin zu bewirken.

Das IfS enthielt sich solch parteipolitischer Ambitionen, verstand sich selbst als „Kern einer konservativen Denkfabrik“ (Weißmann 2011, 74) in der Tradition der Konservativen Revolution. Es widmete sich den Bereichen von Forschung und Wissenschaft, Fortbildung und Politikberatung. „Uns geht es“, umschrieb Weißmann die metapolitische Stoßrichtung des Instituts (JF 36/2001, 6), „um geistigen Einfluß, nicht die intellektuelle Lufthoheit über Stammtischen, sondern über Hörsälen und Seminarräumen interessiert uns, es geht um Einfluß auf die Köpfe, und wenn die Köpfe auf den Schultern von Macht- und Mandatsträgern sitzen, um so besser.“ Das IfS sei eine „Kaderschmiede des Metapolitischen“, schrieb Moritz Schwarz (JF 17/2002); es gehe aber nicht nur um die „Bildung einer rein geistigen“ Elite, sondern langfristig um die einer „klassischen Elite“, die in der Lage sei, „Geistigkeit auch in Führungskompetenz umzusetzen“ und „Entscheidungspositionen in Kultur, Gesellschaft und Politik“ zu erringen und „somit mit den Eliten des linken und liberalen Spektrums“ gleichzuziehen.

Die unterschiedlichen strategischen Orientierungen führten zuweilen zu Irritationen. So gab es über einen längeren Zeitraum eine z.T. heftig geführte Debatte über den Begriff ‚Neue Rechte’, der von Seiten des IfS durchaus als Ehrentitel für die ‚Sezession’, die Loslösung vom hegemonialen Diskurs und von einem gewöhnlichen, mehr oder weniger sinnentleerten Konservatismus, verstanden wird. Dieter Stein bestritt Sinn und Nutzen dieses Begriffs und hielt ihn für rufschädigend, aus seiner Sicht angesichts der langjährigen Auseinandersetzung mit dem NRW-Verfassungsschutz durchaus verständlich. Stattdessen plädierte er, ganz im Sinne der vorhin skizzierten strategischen Orientierung, für die vorbehaltlose Besetzung des Begriffs ‚konservativ’, da für ihn „der politisch-publizistische Standort ‚konservativ’ in Deutschland durch keine etablierte Partei oder ein Medium vertreten“ sei.

In der Sache, nämlich in Bezug auf das Konservatismusverständnis, war diese Debatte wenig ergiebig. Beide Seiten stimmten in ihrem positiven Bezug auf die Konservative Revolution und die Strömung des Weimarer Jungkonservatismus überein. Die JF hat sich in ihrem „Leitbild“ ausdrücklich dazu bekannt. Allerdings spiegelt sich in diesen Irritationen das prekäre Verhältnis von Realpolitik und Metapolitik wider. Beide Formen des politischen Kampfes finden zwar ihre Einheit im identischen Ziel, unterscheiden sich aber in ihrem Blick auf die konkrete Lage, die es nach Maßgabe des Ziels zu verändern gilt. Realpolitik orientiert sich am Möglichen, trifft ihre Entscheidungen immer unter den gegebenen Bedingungen, berücksichtigt die gesellschaftlichen und politischen Kräfteverhältnisse, macht Kompromisse, geht taktische Umwege etc.; Metapolitik dagegen bewegt sich im Modus des Weltanschauungs- und Kulturkampfes und sucht in den konkreten politischen Auseinandersetzungen die „Absicherung im Prinzipiellen“ (Weißmann 2007, 87), die das Mögliche immer mit dem Stempel des Vorläufigen versieht. Insofern stehen Real- und Metapolitik in einem Spannungsverhältnis zueinander, das die Möglichkeit von Irritationen und Differenzen in sich birgt. Andererseits aber muss auch der Metapolitiker sagen können, welche politischen Entscheidungen und Entwicklungen in einer konkreten Situation er für (relativ) sinnvoller hält und welche nicht. Metapolitik ist, so Weißmann, keine „Ausflucht“ (ebd.), etwa in Form einer unverbindlichen Kulturkritik, sondern muss auch den Regeln der Politik als einer „Kunst des Möglichen“ Rechnung tragen.

Das Verhältnis zur AfD

Dieter Stein begründete in einem Beitrag für ein Sonderheft der Sezession („Alternativen für Deutschland“, Mai 2013) die publizistische Unterstützung für das AfD-Projekt damit, dass die AfD das „Thema der verantwortungslosen Euro-Rettung“ und damit verbunden „die endgültige Schleifung der nationalen Souveränität“ in das „Zentrum der Debatte“ gerückt habe; zudem betonte er, dass es bei aller gebotenen Skepsis gegenüber der weiteren Entwicklung der AfD „von übergeordnetem Interesse“, d.h. vorrangig sei, das „Monopol[ ] der CDU“ zu brechen (Stein 2013, 19). Als ‚Morgengabe’ einer gedeihlichen Zusammenarbeit verfasste Stein einen programmatischen Text „Für eine neue Nation“ (JF 41/2013, 18), der eigentlich auf die Auseinandersetzungen in der Deutschen Burschenschaft (DB) gemünzt war,(2) zweifellos aber auch die Bedürfnisse der AfD im Blick hatte, insofern er sich auf die seiner Meinung nach liberalen, freiheitlichen Traditionen der DB berief und für einen „erneuerten Volkstumsbegriff“ warb. Denn nach fünfzig Jahren Einwanderung habe „sich das Bild Deutschlands gewandelt“. Es sei daher „realitätsfremd“, „an einem engherzigen volkstumsbezogenen Vaterlandsbegriff festzuhalten, der integrationswillige Einwanderer und Kinder von solchen“ ausschließe. Steins Ausführungen knüpfen an das JF-offiziöse „Manifest für die Zukunft Deutschlands im 21. Jahrhundert“ (JF 42/2012, 3), das von dem Burschenschaftler Michael Paulwitz verfasst wurde (vgl. auch Paulwitz, in: JF 49/2012, 22). Mittlerweile hat Stein seinen Beitrag zum Ausgangspunkt eines Buches gemacht (vgl. Stein 2014).

Gegenüber soviel realpolitisch motivierter Flexibilität waren bereits vor Erscheinen dieses Artikels Stimmen aus dem IfS laut geworden, die die publizistische Unterstützungsarbeit der JF mit Skepsis und Kritik bedachten. Sie wiesen warnend auf eine womöglich zu starke Anpassungsbereitschaft der Partei an den hegemonialen Diskurs hin, die nicht mehr abgedeckt sei durch eine den Umständen angemessene Taktik der politischen „Mimikry“ (vgl. Lichtmesz 2013a). Die Unterstützung für die AfD könne dem möglicherweise Vorschub leisten (vgl. Lichtmesz 2013b). Konkrete Anlässe für diese Interventionen waren der „Fall Kuhlmann“ – der evangelikale, islamfeindliche Theologe, JF-Autor und IfS-Referent, war als Redner von einer AfD-Veranstaltung ausgeladen worden (siehe Neue Osnabrücker Zeitung v. 12.09.2013) –, der der JF nur eine Randnotiz wert war (JF 39/2013), und im verständnisvollen Ton gehaltene Äußerungen zum Aufnahmestopp für „Die Freiheit“-Mitglieder (Marcus Schmidt, JF 42/2013).

Im Oktober schließlich sagte die JF ihren Stand auf dem vom IfS veranstalteten Vernetzungstreffen, dem zum zweiten Mal stattfindenden Zwischentag, ab. Dieter Stein ließ seinen Mitarbeiter Henning Hoffgaard (JF 42/2013, 18) ‚mitteilen’, dass eine breitere politische Aufstellung der Messe erwünscht sei, vorausgesetzt, es komme „zu einer selbstkritischen Auseinandersetzung über ‚rechte’ Positionen“. Angespielt wurde damit zum einen auf den (angekündigten) Auftritt des „italienischen Publizisten und Vordenkers des neofaschistischen Projekts Casa Pound“, Gabriele Adinolfi, von dem Hoffgaard zu berichten wusste, dass ihm die Verwicklung in den Anschlag von Bologna (1980) angelastet werde. Zum anderen auf einen (nicht angekündigten) Redebeitrag des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der neonationalsozialistischen Partei Jobbik, Márton Gyöngyösi, der – so Hoffgaard – „in der Vergangenheit vor allem durch seine als antisemitisch kritisierte Reden auf sich aufmerksam gemacht“ habe. Und: „2012 hatte er gefordert, Juden, die für den ungarischen Staat arbeiten, registrieren zu lassen. Später hatte er sich für seine Äußerungen entschuldigt. Er habe damit nur ungarische Juden mit einer israelischen Staatsangehörigkeit gemeint.“

Die von der JF erhobene Forderung nach einer selbstkritischen Besinnung knüpfte zweifellos an ihre sorgsam gepflegten Abgrenzungsbemühungen von der NPD an, ebenso wie an ihre Kritik an der Zweckmäßigkeit des Begriffs „Neue Rechte“ (wobei letztere nie ein Grund war für die Aufkündigung der Zusammenarbeit mit dem IfS). Götz Kubitschek freilich nahm die Forderung (vor dem Hintergrund der vorhin beschriebenen Vorgeschichte) ziemlich grundsätzlich, beschwerte sich über die seiner Meinung nach einseitige und falsche Fixierung des JF-Artikels auf „die Enttarnung des fragwürdigen ausländischen Besuchs“ und rückte ihn im Rahmen eines Textvergleichs in die Nähe der Berichterstattung der Berliner Zeitung und der Jungle World (Sezession im Netz v. 06.10.2013). In der an seinen Beitrag anknüpfenden Diskussion auf SiN stellte er die polemische Frage: „wer ist partner, wer gegner, wer egal?“

Dieses Misstrauensvotum an die Adresse der JF speist sich aus einer Überlegung, die Kubitschek an früherer Stelle geäußert hat. Im Vorwort zu dem bereits erwähnten Mai-Sonderheft der Sezession (Kubitschek 2013, 1) entwickelt er folgende Problemsicht: zunächst gewinnt er dem AFD-Kurs der JF Positives ab, insofern es sich „bei der AfD um eine Ausweitung der Kampfzone und um die Öffnung eines zusätzlichen Resonanzraums“ handele. Zugleich aber, so die Warnung, sei dies „die Zementierung einer Mauer“, will sagen: „Wer jetzt nicht mit dabei ist, sondern von rechts kritisiert, ist gründlicher außen vor als bisher. Denn er ist selbst an diese Bewegung nicht mehr anschlußfähig. Insofern käme der AfD im System des Machterhalts und des Elitenwechsels der Mitte die Rolle des Staubsaugers und zugleich der Kantenschere zu.“

Götz Kubitschek: Der Einzelne, der politische Raum und das Ganze

Wovor Kubitschek warnte, ist zweifellos realpolitisch gedacht, drückt aber zugleich ein Dilemma aus, das durchaus selbstverursacht ist. Am deutlichsten wird das bei Kubitschek selbst und dessen Reflexionen über die Sphären des Einzelnen, des politischen Raums und des Ganzen (Kubitschek 2014, 33-35). Sein existentialistisches Politik-Verständnis mit der emphatischen Bezugnahme auf das „anmaßende Ich“ transportiert eine Beliebigkeit des Handelns, der es im Wesentlichen um die Selbstbehauptung im Kampf zu tun ist: der Einzelne als „Ein-Mann-Kaserne“. Das Handeln müsse dem Kriterium der „expressiven Loslösung“ genügen: „Denn dies gehört zum unverwechselbaren Stil der Ein-Mann-Kaserne, deren Tore aus Mangel an Versöhnung mit den gegenwärtigen Verhältnissen geschlossen wurden“ (Kubitschek 2012, 13; Hervorh. v. Vf.). Daran gemessen erscheint der gegebene Raum des Politischen bloß als eine Sphäre, die von „der Arbeit am Machbaren“, von „Ausgleich und Kompromiß“ geprägt ist (2014, 34). Hier regiert das „Angemessene“, nicht die „Anmaßung“ des Einzelnen, sein Schicksal selbst zu bestimmen. Der Politiker wird zum „anti-erhabenen Typ […] und kann keine Alternative mehr formulieren.“ (35) Was aber ist die große Alternative, wenn das „Ganze“, vulgo: das System, angesichts der „schleichende Katastrophe, dieser Auflösung aller Dinge“ in Frage steht? Kubitschek nimmt diesbezüglich Zuflucht zu Maßstäben, die aus anderen Feldern als dem der Politik herrühren, aus den Bereichen des Religiösen und Ästhetischen. Wer die Alternative wolle, brauche eine „Große Erzählung“, eine nationale Mythologie, „und vor allem wäre er von furchterregender, angemessen (!) rücksichtsloser Entschlossenheit. Der Einzelne und sein inneres, sein poetisches Reich – wer wirklich schöpferisch und restaurativ zugleich wirken will, muß dort gewohnt haben.“ Stauffenberg und das Geheime Deutschland lassen grüssen.

Kubitscheks Absage an eine realistische Sichtweise des Politischen führt ihn vor eine Grundsatzentscheidung. In einer Situation, in der viel „Konservative und Rechte“ die Möglichkeit sähen, vermittels der AfD „zu Wirkung, Einfluß, sogar zu Macht zu gelangen“, wirft er die Frage auf, ob es recht sei, die Regularien des politischen Raums zur „Richtschnur rechten Denkens, Publizierens und Handelns“ zu machen, Parteidisziplin zu üben und auf die „Anmaßung – diese Maximalforderung des Ichs oder des Ganzen“ zu verzichten? Und das zu Gunsten einer „ganz klein wenig aufbrechenden, durch und durch liberalen, abgesicherten, auf die Mitte hin orientierten Konservatismus?“ Und mit Blick auf das Projekt Sezession heißt es zugespitzt: „Dies ist also eine grundsätzliche Entscheidung: für oder gegen die Sezession“ (Hervorh. v. Vf.).

Kubitscheks Haltung zur AfD (und zur JF) nahm hier eine Wendung, die die Funktion und das Selbstverständnis der Zeitschrift berührte und damit der intern und zugleich öffentlich geführten Debatte im Umkreis des Instituts für Staatspolitik eine bewusste Schärfe verlieh. Der Adressat war vor allem: Karlheinz Weißmann.

Karlheinz Weißmann: Politik und Metapolitik

Die Frage, wie man sich im jungkonservativen Lager auf die AfD zu beziehen habe, hat Weißmann zu Präzisierungen ‚gezwungen’, die das Verhältnis von Real- und Metapolitik berühren.

Bereits im Augustheft 2013 hatte er gegen die Hype um die Identitären in Frankreich, deren Bewegung in der Sezession vor allem von Lichtmesz und Kubitschek positiv aufgegriffen wurde, die Notwendigkeit von politischen Organisationen und Parteibildungsprozessen betont, die willens und fähig seien, auf die „Mitte“ Einfluss zu nehmen. In diesem Zusammenhang ging er gezielt und wohlwollend auf die AfD ein: „Dieser Versuch, den gesunden Menschenverstand zu organisieren, setzt auf die Mobilisierung der […] Mitte, was angesichts der bestehenden Kräfteverhältnisse die einzig denkbare Option für ein anderes politisches Handeln ist“ (Weißmann 2013a, 13; Hervorh. v. Vf.). Die Rolle, die er dem IfS dabei beimaß, beschrieb er als eine weiterhin metapolitische und insbesondere konzeptionelle Arbeit, deren Ziel es letztendlich sein müsse, „einen ideologischen Gesamtentwurf zu schaffen“.

Auf dem 2. Zwischentag hielt Weißmann dann zum Thema „Politik und Metapolitik“ einen Vortrag, dem er im Dezemberheft 2013 der Sezession einen demselben Thema gewidmeten Artikel folgen ließ. Der Artikel führt das Verhältnis von situationsbezogener realpolitischer Option und langfristiger konzeptioneller Arbeit (im Übrigen unter Bezugnahme auf Gramsci) weiter aus (Weißmann 2013b, 41):

1. „Metapolitik ist […] nur sinnvoll als Teil von politischen Strategien.“ Sie „muß Lagen analysieren und Machbarkeitsfragen stellen“, sie „interessiert sich zwingend auch für politische Praxis und deren Träger“, was nicht bedeute, so Weißmann mit Blick auf Kubitschek, „seine persönlichen oder ästhetischen Maßstäbe gegenüber der Politik zur Geltung“ zu bringen, denn die seien „nicht politisch“.

2. Metapolitik kann nur dann Wirksamkeit entfalten, wenn sie anschlussfähig ist und „gehört“ wird. „Provokation und Konfrontation“, d.h. die von Kubitschek bevorzugten Optionen (vgl. Kubitschek 2007), seien daher „nur ausnahmsweise Mittel der Wahl“.

3. Metapolitik ist auf einen langen Zeitraum eingerichtet („gedehnte Fristen“, „langer Atem“) und erfordere ob vieler „Unwägbarkeiten […] Geduld, Klugheit und Geschick“, immer aber den Bezug auf den „Alltagsverstand“. Mit einer voluntaristischen und sektiererischen („Konventikel, in denen jeder die ‚Sprache Kanaans’ spricht“) Praxis sei das nicht vereinbar.

4. Es gibt keine „Erfolgsgarantie“ für Metapolitik, zumal der „Kulturkampf von rechts auch in Zukunft aus einer Position der Schwäche geführt“ werde, was „die Zielsetzung und die Wahl der Mittel bestimmen“ müsse.

Repliken

Diese Ausführungen Weißmanns blieben nicht unbeantwortet. Vor allem aus der jüngeren Autoren-Generation des IfS sprangen Martin Lichtmesz und Manfred Kleine-Hartlage im selben Heft der Sezession Kubitschek zur Seite.

Lichtmesz (2013c, 42-45), der sich als Sprachrohr der sog. Identitären Bewegung versteht, beschwor mit Blick auf die Zuwanderung das apokalyptische Bild, dass es bereits „fünf nach zwölf“ sei, und fragte als selbsternannter Anwalt der heute zwanzigjährigen ‚Einheimischen’: „Ist es da ein Wunder, dass sie kaum ein Ohr haben für jene, die ihnen zuviel von einer Metapolitik des ‚langen Atems’ und der ‚Vorbereitung’ reden, Strategien, deren Wirkung völlig unbewiesen ist, und die offensichtlich bis heute nicht aufgegangen sind?“ Und er verteidigte die von Weißmann als Ausnahmestrategien abqualifizierten Optionen „Provokation und Konfrontation“, wie sie auch von der Identitären Bewegung verfolgt werden: „Deren Erfolgsaussichten scheinen mir jedenfalls auch nicht weniger gewiß zu sein als die Hoffnung, dass die gut vorbereiteten Konservativen in der Stunde X aus ihrer Schattenexistenz geholt würden.“ Natürlich müsse man weiterhin Metapolitik betreiben und natürlich müsse man sich auf die „Widerstandspotentiale“ im „bürgerlich-liberalen Lager“ – darunter subsumiert er die AfD genauso wie die FPÖ und den Front National – beziehen. Aber, so seine skeptische Auskunft, man werde sehen, „ob all diese nicht lediglich dies waren: nützlich retardierende Werkzeuge auf dem Wege zur vollendeten Zersetzung.“

Kleine-Hartlage (2013b, 46-48), der von sich glaubt, dass er mal ein ‚Linker’ gewesen sei, sich nun aber auf dem ‚rechten’ Pfad der Tugend befände, opponiert gleich gegen die politische Geschäftsgrundlage des IfS, indem er dessen strategischen Bezug auf die Eliten, zu denen er auch die ehemals oppositionelle 68er-Linke rechnet, in Frage stellt: „Für eine rechte Opposition kommt […] eine Strategie von vornherein nicht in Betracht, die primär darauf abzielt, Positionen innerhalb der Eliten zu besetzen und von dort aus in die Gesellschaft hineinzuwirken.“ Stattdessen empfiehlt er eine „Einkreisungsstrategie“. Es gelte, „das Feld von unten nach oben und von außen nach innen aufzurollen, das heißt das herrschende Machtkartell von der Peripherie her unter Druck zu setzen“.

Dazu sei es erstens notwendig, so Kleine-Hartlage in einem früheren Aufsatz (2013a, 42-44), eine Einengung von Metapolitik auf konzeptionelle Arbeit zu vermeiden, sondern von „eine[r] Pluralität metapolitischer Kommunikationsformen“ auszugehen und an einer Vernetzung von „politisch und soziologisch heterogene[n]“ Milieus über eine gemeinsame Feindbestimmung (gegen die herrschenden Eliten) zu arbeiten. Diesbezüglich plädiert Kleine-Hartlage – nach dem Muster der Querfront-Strategie des jungkonservativen TAT-Kreises in der Endphase der Weimarer Republik – für ein „Bündnis mit der linken Peripherie“ (2013b, 47): Es gäbe „eine kleine, aber wachsende Fraktion der antiimperialistischen Linken, die gegenüber rechten Themen und Positionen kaum noch Berührungsängste“ habe, wie z.B. die Gruppe um Jürgen Elsässer und dessen Zeitschrift Compact (vgl. Kleine-Hartlage 2013a, 44). Zweitens betont er die Nachrangigkeit von Parteipolitik gegenüber Metapolitik: „Wer metapolitisch wirken will“, der dürfe „nicht darauf aus sein, schon zu Beginn den kleinsten gemeinsamen Nenner mit der ‚Mitte’ zu suchen“ (2013a, 44).

Karlheinz Weißmann: Umbau des Parteiensystems

Die Gegenreplik von Weißmann – die Europawahlen hatten soeben den Aufwärtstrend der AfD bestätigt – ließ nicht lange auf sich warten. Interessant ist nur, wo sie erschien. Jedenfalls nicht im Juniheft der Sezession (H. 60), das dem Thema „Demokratie“ gewidmet war und den Abonnenten im Begleitschreiben Kubitscheks süffisant als „eines der besten Sezession-Hefte, das wir je fertig stellten“, offeriert wurde, und das nach rund elf Jahren zum ersten Mal ohne einen Text von Weißmann. – Nein, die Gegenreplik erschien auf der Forums-Seite der JF mit dem hintersinnigen Titel „Die Geduld hat ein Ende“ (JF 24/14, 18), womit Weißmann auf den bereits zitierten Artikel in der Sezession anspielte, in dem er die Geduld des Metapolitikers beschworen hatte. Dass die Geduld nunmehr ein Ende habe, signalisierte freilich nicht den Abschied vom „langen Atem“, sondern zielte auf den politischen Möglichkeitsraum, der sich mit der Etablierung der AfD, getragen von einer Aufkündigung „schafsmäßige[r] Geduld“ von Seiten ihrer Wähler, eröffnen könnte.

Weißmann skizziert also ein Szenario für die weitere Entwicklung der AfD und ordnet es dem langfristigen strategischen Kalkül der Jungkonservativen zu. Es geht perspektivisch um den „Umbau des Parteiensystem“ als einem Teilziel des von den Jungkonservativen angestrebten Umbaus des Staates. Damit knüpft er an einen Artikel Dieter Steins vor den Europawahlen an (JF 22/2014, 1), in dem dieser eine „historische Umwälzung des deutschen Parteiensystems“ prognostiziert hatte.

Weißmann holt zunächst weit aus und beginnt mit einem Rückblick auf die Parteiengeschichte, besonders im Kaiserreich. Auf die Ausbildung von Massen- und Weltanschauungsparteien auf der Linken und im Lager des politischen Katholizismus hätten Liberale und Konservative aufgrund ihrer Organisation in Honoratiorenvereinigungen keine angemessene Antwort gehabt. Dazu hätte es der Weiterentwicklung zur Volkspartei bedurft, was dann unter den veränderten historischen Bedingungen der Nachkriegszeit von den Unionsparteien nachvollzogen worden sei. Auf europäischer Ebene erwähnt Weißmann als Beispiele für die von ihm als notwendig erachtete „Anverwandlung“ an den Gegner die Tories oder die Gaullisten in Frankreich.

Es folgt der Blick in die Gegenwart: Ob sich die rechtspopulistischen Parteien zu Volksparteien weiterentwickeln könnten, stünde noch nicht fest. „Protestler“ wie die Freiheitspartei in den Niederlanden drohten an dieser Hürde zu scheitern, die „Nationalen“ wie der Front National oder die FPÖ verfügten über eine „stabile Basis“ und ein „erprobtes Rezept“ (3) für einen weiteren Ausbau. Zu einer dritten Gruppe, den „Unbeugsamen“, zählt Weißmann die UKIP und – trotz der Abgrenzungsbemühungen Luckes – die AfD, die beide sich durch eine „strukturelle Ähnlichkeit“ auszeichneten:

In beiden Fällen sei die „Führungsriege“ seriös; Personal und Anhängerschaft kämen zum großen Teil „aus den Reihen der eigentlich dominierenden bürgerlichen Parteien“; aber auch Menschen ohne politische Heimat oder aus dem Umfeld von Außenseiterparteien würden erreicht. In beiden Fällen sei man „beunruhigt“ über den Verrat nationaler Interessen durch die politische Klasse zu Gunsten „einer gesichtslosen Bürokratie“, des „global operierenden Kapital[s]“ oder „der vaterlandslosen Intelligenz“; beide Parteien repräsentierten vor allem die Mittelschicht, d.h. solche Leute, die „hart“ arbeiteten, Steuern zahlten, Familien gründeten und Kinder großzögen.

Der Erfolg der AfD, so Weißmann weiter, sei einerseits der „klugen Taktik“ ihrer Führungsgruppe geschuldet, „möglichst wenig Angriffsflächen zu bieten […] und immer die ‚Normalität’ der Partei“ zu betonen; andererseits sei die Zeit, angesichts der „Veränderung des gesellschaftlichen Klimas“, einfach reif gewesen für eine Partei wie die AfD. Zeit also auch, um über wünschens- bzw. nicht-wünschenswerte Perspektiven nachzudenken.

Nicht-wünschenswert sei es, wenn durch die Etablierung der AfD das „bürgerliche Lager“ insgesamt, nämlich infolge der Spaltung und aufgrund fehlender Kooperationsbereitschaft, geschwächt würde; es würde dann eine „ähnliche Situation wie für die Grün-Rot-Tiefroten auf der Gegenseite entstehen“. Im Umkehrschluss hält also Weißmann, ohne das offen auszusprechen, eine Koalition der Unionsparteien mit der AfD als naheliegendste Perspektive für wünschenswert (was den Planspielen mancher Konservativer in der Union entgegenkäme). Er geht aber noch einen Schritt weiter:

„Die AfD ist aber noch nicht am Ende ihrer Möglichkeiten angekommen, und wenn sie zur Sammlung all derjenigen wird, die die Tassen im Schrank behalten, ergeben sich ganz neue Perspektiven. Dann geht es nicht mehr um Juniorpartnerschaften, dann geht es tatsächlich um eine Neugestaltung des deutschen Parteiensystems.“

Will sagen: Wünschenswert wäre es, wenn die AfD sich realiter in Richtung einer Volkspartei entwickeln würde, was Lucke ja bereits anlässlich der Ergebnisse der Europawahlen als gegeben konstatiert hatte. Diese „Anverwandlung“ an den Gegner, von der Weißmann eingangs gesprochen hatte, würde die Kräfteverhältnisse im bürgerlichen Lager ändern, und die Koalitionsfrage könnte aus einer Position der Stärke neu verhandelt werden, etwa nach dem Modell der grün-roten Koalition in Baden-Württemberg. Das ist sicherlich Zukunftsmusik und wird es womöglich auch bleiben. Weißmann ist sich darüber im Klaren, dass eine solche Entwicklung von „schwer kalkulierbar[en]“ Faktoren abhängt. Die AfD müsste weiter an „Anziehungskraft“ gewinnen und die Krisenlage sich weiter verschärfen. Die Frage sei, „ob es das Personal der Altparteien weiter schafft, die Krisensymptome zu kaschieren, oder ob der Prozeß eskaliert und die Einschätzung Luckes zutrifft, daß die Probleme viel größer und viel schwerwiegender sind, als bisher zugegeben“.

Die Bedeutung der ‚große Krise’ für einen Wandel der Machtverhältnisse hat Weißmann in den letzten Jahren immer wieder betont. „Die Konjunktur der Rechten“ hänge ab von der „Wahrnehmung innerer oder äußerer Bedrohung“, schrieb er 1996 in der Jungen Freiheit (JF 44/1996, zit. nach Weißmann 2000, 250). 2007 prognostizierte er „eine dramatische Zuspitzung der Krise“ für die „nächsten zehn Jahre“, die „Unfähigkeit“ der Politischen Klasse werde überdeutlich werden (Weißmann 2006, 80). Nur in einer solchen Situation sei ein Elitenwechsel möglich (Weißmann 2009b, 14). Und nur dann sei es möglich, die Verfassung aus „der Gefangenschaft der Linken und Liberalen zu befreien“ (ebd., 15).

Fazit

Die Gründung und die bis dato erfolgreiche Entwicklung der AfD haben im jungkonservativen Lager kontroverse Reaktionen hervorgerufen. Was die JF anbetrifft, war es nicht weiter verwunderlich, dass sie sich als publizistische Plattform für die Anliegen der AfD präsentierte, hat sie doch seit Jahren auf eine solche politische Konstellation hingearbeitet und programmatische Vorarbeit geleistet. Wenn sich die JF 2011 in ihrem „Leitbild“ als national, freiheitlich, konservativ und christlich definiert (Junge Freiheit 2011, 6), so ist das der programmatische Rahmen (vgl. dazu Kellershohn 2013), in dem sich die AfD bewegt und bewegen wird. Die Nähe zwischen dem JF-Milieu und dem Kreis der AfD-Mitglieder und Sympathisanten ist unübersehbar.

Die Haltung des IfS und der Sezession zu dieser ‚Kumpanei’ war in ihrer Gespaltenheit zwischen „neuem Realismus“ (Weißmann 2014), politischem Existentialismus und metapolitischem Pluralismus nicht unbedingt vorherzusehen. Selbst Weißmann notierte noch 2009 in seinem „Konservativen Katechismus“, dass man sich als bekennender ‚Rechter’ vor „jeder Ablenkung ins ‚Liberalkonservative’, ‚Freiheitlich-Konservative’, ‚Kulturkonservative’. ‚Wertkonservative’“ hüten müsse (Weißmann 2009a, 36). Die Feigheit der bürgerlichen Mitte hat er des Öfteren beklagt. Insofern ist er es, der sich umorientiert hat und nunmehr auf die „’populistischen’ Möglichkeiten“ (Weißmann 2000, 251) setzt (und Gleiches der intellektuellen Rechten empfiehlt), die die JF schon seit längerem verfolgt und jetzt in einer ‚freiheitlich-konservativen’ AfD gegeben sieht.

Es bedarf noch einer genaueren Analyse, inwieweit die Kontroversen, die nun eine Zuspitzung erfahren haben, schon in früheren Konflikten angelegt gewesen sind. Es ist zu vermuten, dass bereits die Ablösung Kubitscheks als Geschäftsführer des IfS (2008) im Zusammenhang mit den internen Diskussionen um die von ihm initiierte Konservativ-subversive Aktion (vgl. dazu Kellershohn 2010b) einen Konfliktpunkt gesetzt hat, der nachwirkt. Schon damals ging es um die Frage, ob eine Strategie der Provokation zum ‚Geschäftsbereich’ des Instituts gehöre. Wenn Kubitschek nun als verantwortlicher Redakteur der Sezession die Grundsatzfrage „für oder gegen die Sezession“ stellt, während Weißmann die AfD als „einzig denkbare Option“ unter den gegebenen Bedingungen bezeichnet und damit die Position der JF unterstützt, so sind dies zweifellos Ausschließlichkeitsformeln, die eine Trennung nahelegen. Möglich ist aber auch, dass die Grundlagen der Arbeitsteilung und Kooperation im jungkonservativen Lager, sowohl im IfS als auch zwischen IfS und JF neu verhandelt werden.

 

Quellen

Junge Freiheit 2011: Der Freiheit eine Gasse. 25 Jahre Junge Freiheit. Eine deutsche Zeitungsgeschichte, Berlin.
Kleine-Hartlage, Manfred 2013a: Metapolitische Unterweisung (III), in: Sezession 56, 42-44.
Kleine-Hartlage, Manfred 2013b: Rebellion gegen die Lüge, in: Sezession 57, 46-48.
Kubitschek, Götz 2007: Provokation, Schnellroda.
Kubitschek, Götz 2012: Die Ein-Mann-Kaserne oder Expressive Loslösung, in: Sezession 50, 10-13.
Kubitschek, Götz 2013: Wellenberg, Wellental, in: Sezession, Sonderheft „Alternativen für Deutschland“, Mai 2013, 1.
Kubitschek, Götz 2014: Der romantische Dünger, in: Sezession 59, 33-35.
Lichtmesz, Martin 2013a: Alternative für Deutschland – Mit Mimikry ins Establishment? In: Sezession im Netz v. 26. August 2013.
Lichtmesz, Martin 2013b: Schmerzhafte Schnitte und schmerzhafte Wahrheiten, in: Sezession im Netz v. 4. Oktober 2013
Lichtmesz, Martin 2013c: Ruhepuls am Abgrund, in: Sezession 57, 42-45.
Stein, Dieter 2013: „Bei aller Skepsis: Diesmal hoffe ich!“ In: Sezession, Sonderheft „Alternativen für Deutschland“, Mai 2013, 18-19.
Stein, Dieter 2014: Für eine neue Nation. Nachdenken über Deutschland, Berlin.
Weißmann, Karlheinz 2000: Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst. Zehn Thesen zur Zukunft einer konstitutionellen Rechten in Deutschland, in: Ders.: Alles, was recht(s) ist, Graz/Stuttgart, 249-252.
Weißmann, Karlheinz 2006: Unsere Zeit kommt. Im Gespräch mit Karlheinz Weißmann, Schnellroda.
Weißmann, Karlheinz 2009a: Der konservative Katechismus, in: Sezession 29, 34-36.
Weißmann, Karlheinz 2009b: „Ich versuche, argumentativ vorzugehen und die Fragen grundsätzlich anzugehen“, in: Sezession, Sonderheft „Gespräche“, Dez. 2009, 13-16.
Weißmann, Karlheinz 2013a: Geduld! – Lage und Möglichkeit der intellektuellen Rechten, in: Sezession 55, 10-13.
Weißmann, Karlheinz 2013b: Politik und Metapolitik, in: Sezession 57, 38-41.
Weißmann, Karlheinz 2014: Neuer Realismus, in: Sezession 59, 30-32.

Sekundärliteratur

Kellershohn, Helmut 2010a: Strategische Optionen des Jungkonservatismus, in: Wamper/Kellershohn/Dietzsch (Hg.) 2010, 13-30.
Kellershohn, Helmut 2010b: Provokationselite von rechts: Die Konservativ-subversive Aktion, in: Wamper/Kellershohn/Dietzsch (Hg.) 2010, 224-240.
Kellershohn, Helmut 2013: Der ‚wahre’ Konservatismus der Jungen Freiheit, in: Ders. (Hg.): Die ‚Deutsche Stimme’ der ‚Jungen Freiheit’, Münster: Unrast Verlag, 60-134.
Wamper, Regina/Kellershohn, Helmut/Dietzsch, Martin (Hg.) 2010: Rechte Diskurspiraterien. Strategien der Aneignung linker Codes, Symbole und Aktionsformen, Münster: Unrast Verlag.

Fußnoten

(1) Zum Folgenden vgl. Kellershohn 2010a, 13-30.
(2) In diesen Auseinandersetzungen ging es zum einen um die geschichtspolitische Bewertung des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus, speziell um die Rolle Stauffenbergs als „Landesverräter“ oder Vorbild; zum anderen um die „Aufnahme eines Deutsch-Asiaten in eine Burschenschaft“ (Stein, JF 41, 2013, 18). Steins Intervention verfolgte auch parteipolitische Ziele, warnte er doch davor, dass sich die DB mit ihrer bisherigen ‚starren’ Haltung in eine „rechts-reaktionäre Ecke“ manövriere, so dass ihr nur noch die „rechtsradikale NPD“ als „parlamentarischer Anknüpfungspunkt“ bliebe.
(3) Das Rezept beschreibt Weißmann wie folgt: „Aufbietung des ‚gemeinen Mannes’ über einen offensiv vorgetragenen Patriotismus, der ausdrücklich auch im Sinn einer sozialen Schutzpflicht verstanden wird, und scharfe Wendung gegen eine als korrupt betrachtete Ordnung, ohne die Verfassung in Frage zu stellen.“


Urteil nach Übergriff auf Journalisten am 1. Mai 2013

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Der Neonazi Daniel Ohm wurde am 12. Juni 2014 wegen Körperverletzung vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten zu einer Geldstrafe in Höhe von 1800 Euro verurteilt. Er und andere Neonazis aus Mecklenburg-Vorpommern bedrängten und bedrohten Journalist_innen am Rande der Abschlusskundgebung einer NPD-Demonstration am 1. Mai 2013 in Berlin-Schöneweide. Der Usedomer NPD-Stadtverordnete und regelmäßig als Ordner aktive Ohm schlug dabei einen Journalisten. Ohms Anwalt, der Rostocker Thomas Penneke, war bereits Verteidiger bei anderen Neonaziübergriffen auf Journalist_innen. Außerdem wurde Ohm gerade in einem weiteren Verfahren wegen Sachbeschädigung und versuchter Nötigung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen á 30 Euro verurteilt, berichtete die Opferberatung Lobbi aus Mecklenburg Vorpommern. Ihm war vorgeworfen worden an einem Angriff auf ein alternatives Wohnprojekt in Greifswald im August 2013 beteiligt gewesen zu sein. Beide Urteile sind noch nicht rechtskräftig.

Daniel Ohm (Bild: Kombinat Fortschritt)

Daniel Ohm (Bild: Kombinat Fortschritt)

Brandstifter jetzt im Parlament – Kommunalwahlen in Brandenburg: Gemischte Bilanz für die NPD

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Die Neonazipartei gewinnt in der Mark zahlreiche Mandate – trotz gewalttätigem Wahlkampf und zahlreichen vorbestraften Kandidaten. Der erhoffte Einzug in den Landtag bei den Wahlen im September scheint trotzdem unrealistisch.

NPD-Kandidat Dave Trick bei einer Kundgebung in Gransee. Trick wurde im Wahlkampf gewalttätig; jetzt ist er im Stadtrat Neuruppin. (c) Presseservice Rathenow

NPD-Kandidat Dave Trick bei einer Kundgebung in Gransee. Trick wurde im Wahlkampf gewalttätig; jetzt ist er im Stadtrat Neuruppin.
(c) Presseservice Rathenow

Von Christoph Schulze (Der Artikel erschien zuerst in monitor #65 von Juli 2014.)

Thomas Haberland hat’s geschafft. Der Neonazi trat bei den Brandenburger Kommunalwahlen für die NPD als Kandidat für die Stadtverordnetenversammlung in Joachimsthal (Kreis Barnim) an. Wochen vor der Wahl wurde nach antifaschistischen Recherchen in Presseberichten auf die Vergangenheit Haberlands aufmerksam gemacht: Im September 1992 hatte er mit einem Komplizen eine ehemalige Häftlingsbaracke in der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Sachsenhausen niedergebrannt – und dafür eine dreijährige Haftstrafe erhalten. Die Tat hatte damals international Entsetzen ausgelöst. Obwohl die kriminelle Energie des Neonazis lang genug vor den Wahlen bekannt war, warb er genug Stimmen ein, um nun tatsächlich einen Kommunalvertreter im Stadtparlament zu mimen.

Die Kandidatur Haberlands war durchaus typisch für die Wahlantritte der NPD in Brandenburg: Zahlreiche Neonazis mit einschlägigen, teils schwersten Vorstrafen wurden aufgestellt. Und oft genug reichte es für den Einzug in die Kommunalparlamente. Die für harte nationalsozialistische Inhalte offenen Milieus in Brandenburg sind zwar überschaubar, aber groß genug für solche Ergebnisse. 62.000 Stimmen fuhr die NPD insgesamt ein, was einem Stimmanteil von 2,2 Prozentpunkten entspricht.

Insgesamt erhielt die NPD 49 Mandate und ist nunmehr in 12 Kreistagen, im Parlament der kreisfreien Stadt Cottbus sowie diversen Gemeinde- und Stadtvertretungen präsent. Vorher waren es 27. Das zuvor von der NPD ausgegebene Wahlziel einer Mandatsverdopplung wurde also nur knapp verfehlt. Bei den vorigen Kommunalwahlen 2008 hatte die NPD mit der damals noch existenten DVU ihre Antritte abgestimmt.
Aufgestellt hatte die NPD bei den jetzigen Wahlen 115 KandidatInnen. Wo sie auf Kreisebene antrat, folgte in allen Fällen ein Mandatsgewinn. Allerdings: Da wo die NPD schon vertreten war, verlor sie im Vergleich zu den Wahlen 2008 ebenfalls in allen Fällen Stimmen.

Nicht nur die kriminelle Vergangenheit ihrer KandidatInnen hatte im Vorfeld der Wahlen für Aufmerksamkeit gesorgt. Auch im Wahlgeschehen selbst wurden NPDler handgreiflich. Bei einer Kundgebung in Frankfurt/Oder wurde ein Gegendemonstrant ins Krankenhaus geprügelt. Bei einer Plakatieraktion in Neuruppin schlug der später ins Stadtparlament gewählte NPD-Kandidat Dave Trick auf einen Passanten ein. Und bei einer Wahlparty in Bad Belzig griff der frisch gebackene Stadtverordnete Pascal Stolle einen Pressefotografen an.

Im September stehen in Brandenburg Landtagswahlen an – und die NPD glaubt selbstbewusst an einen Einzug in den Potsdamer Landtag. Eine Kundgebungstour soll neben den allpräsenten Wahlplakaten wie bei den Kommunalwahlen den Kern der Werbestrategie bilden. Wahlkampfchef ist Sebastian Schmidtke, NPD-Landesvorsitzender in Berlin, der auch in der Hauptstadt eine Vielzahl von Kundgebungen abhält. Ob es für einen Landtagseinzug reichen wird, darf angesichts der jüngsten Wahlergebnisse indes bezweifelt werden. Anders als auf Kommunal- und Europaebene gilt eine Fünfprozenthürde und aktuell lag die NPD eben bei dürftigen 2,2 Prozent – beziehungsweise 2,6 landesweit bei den Europawahlen und den Bundestagswahlen im vergangenen Jahr.

1.700 bei Nazidemos am 1. Mai

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Neonaziaufmarsch am 1. Mai 2014 in Plauen (Sachsen) (c) Jan Nowak

Neonaziaufmarsch am 1. Mai 2014 in Plauen (Sachsen)
(c) Jan Nowak

An den Neonazidemonstrationen zum 1. Mai nahmen bundesweit rund 1700 Rechte teil. Das Niveau der Mobilisierung verbleibt damit in etwa auf dem des Vorjahres (2013: 1800). Das größte Event war die Kameradschaftsdemonstration in Plauen mit rund 600 Neonazis, gefolgt von Dortmund (Die Rechte, 450), Rostock (NPD, 350) sowie Duisburg und Kaiserslautern (beide NPD, jeweils 100). Hinzu können noch die 60 Teilnehmenden einer NPD-Wanderkundgebung in vier Brandenburger Städten gezählt werden sowie einige Dutzend deutsche Neonazis, die im tschechischen Usti nad Labem mitdemonstrierten. Noch vor einigen Jahren lagen die Teilnehmerzahlen zu rechten Demonstrationen am »Tag der Arbeit« wesentlich höher – 2010 waren es beispielsweise 3700 gewesen. Genauso verhielt es sich mit dem »Tag der deutschen Zukunft«, der am 7. Juni in Dresden stattfand, nur etwa 500 Rechte nahmen an der Demo teil.

Mehr zum Hintergrund der rückläufigen Teilnehmerzahlen bei Aufmärschen der Rechten kann hier oder im letzten monitor #64 nachgelesen werden.

Diese Meldung erschien zuerst in monitor #65 von Juli 2014

Freiheit, die ich meine – Die Stresemann Stiftung und ihr rechtspopulistisches Netzwerk

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Im Rahmen der Menschenrechtskonferenz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) kamen 2013 in Warschau neben Vertreter_innen der 57 beteiligten Staaten auch zahlreiche Nichtregierungsorganisationen zusammen, um Empfehlungen für die Umsetzung von Menschenrechten vorzustellen. Unter dem Motto „Meinungsfreiheit als Menschenrecht“ präsentierte dort auch die rechtspopulistische Bürgerbewegung Pax Europa zusammen mit der Stresemann Stiftung ihre ganz eigene Sichtweise von „Freiheit“. Weshalb hier nicht individuelle Freiheitsrechte im Vordergrund standen, sondern in erster Linie Ressentiments gegen Muslim_innen verbreitet wurden, wird bei einem Blick auf die Akteure der Stiftung und ihre Verstricktheit in ein rechtspopulistisches Netzwerk deutlich.

Rene Stadtkewitz, Bundesvorstandsmitglied der "Bürgerbewegung Pax Europa" (BPE), im September 2010 bei einer Kundgebung in Berlin

Rene Stadtkewitz, Bundesvorstandsmitglied der “Bürgerbewegung Pax Europa” (BPE), im September 2010 bei einer Kundgebung in Berlin

Gastbeitrag. Dieser Artikel erschien zuerst im AIB 102 / 1.2014

Dieses Netzwerk hat sich zusammengefunden, um auf der OSZE-Konferenz einen Gegenpol zu anwesenden muslimischen Organisationen zu bilden und Kritik gegenüber deren religiösen Positionen zu verbreiten. Die einflussreichste „Partnerorganisation“ in diesem Zusammenhang ist die International Civil Liberties Alliance. Sie ist ein virtuelles Netzwerk von „Islamkritikern“ aus Europa und den USA, das die Existenz eines „Kulturkampfes“ behauptet und darüber antimuslimischen Rassismus stärkt. Geschäftsführer und Leiter des Berliner Büros der 2011 gegründeten Stresemann Stiftung ist Felix Strüning. Das ehemalige Bundesvorstandsmitglied der rechtspopulistischen Partei „Die Freiheit“ setzte sich nicht nur in Warschau mit „islamkritischen“ Äußerungen in Szene. Im November 2013 referierte er zu diesem Thema in der rechten Bibliothek des Konservatismus (Berlin). Über das Berliner Postfach der Stresemann Stiftung koordiniert Strüning die Website www.linksextremismus.org und die Internetzeitung Citizen Times, aber auch seine Aufträge als Berater für „Strategie und Kommunikation“. Bei der Anschrift der Stiftung in Jena handelt es sich um die Rechtsanwaltskanzlei von Philip Wolfgang Beyer. Hier schließt sich der Kreis: Beyer ist Landesvorsitzender von „Die Freiheit“ in Thüringen und auch Vorstandsvorsitzender der Stresemann Stiftung. Sein Rechtsanwaltskollege Sascha Giller fungiert in der Stiftung als dessen Stellvertreter.

Ganz dem Extremismusansatz und der „wehrhaften Demokratie“ verpflichtet wird der (politische) Auftrag definiert: „Wir haben uns Gustav Stresemann als Namensgeber für die Stiftung gewählt, weil er es stets verstand, das damalige Deutsche Reich von den extremen Kräften des linken und rechten Randes zu beschützen. In diesem Sinne soll die Stresemann Stiftung eine Lobby für die Freiheit sein, eine Interessensvertretung bürgerlich-liberaler Ideale in Gesellschaft und Politik.“

Dass die Stiftungsmitglieder die Demokratie in erster Linie von Links bedroht sehen, könnte mit ihren eigenen politischen Aktivitäten zusammen hängen, was sie jedoch nicht daran hindert, ihre Thesen auch „wissenschaftlich“ zu untermauern. Dafür wurde nicht nur das Projekt www.linksextremismus.org initiiert, sondern auch die tatkräftige Unterstützung des „Extremismusexperten“ Karsten Dustin Hoffmann gesichert.

Extrem daneben

Hoffmann war Bereitschaftspolizist in Hamburg und während seiner Studienzeit Landesvorsitzender des rechts-konservativen „Rings Christlich-Demokratischer Stu­denten“. 2011 promovierte er an der Technischen Universität Chemnitz zum Thema „Rote Flora – Ziele, Mittel und Wirkungen eines linksautonomen Zentrums in Hamburg“. Der dort lehrende „Extremismusforscher“ Eckhard Jesse hielt es mit seinem Kollegen Uwe Backes dann auch für angebracht diese Arbeit zu veröffentlichen. Lobend heben sie hervor: „Zum ersten Mal ist ein ,autonomes Zentrum‘ mit wissenschaftlichen Kategorien ausgeleuchtet worden. Wir wissen nun mehr über die ,Szene‘. Dass wir allerdings immer noch nicht genug über die Aktivitäten der Protagonisten wissen (etwa zu ihrer Sozialisation), liegt in der Natur der Sache begründet. Das kann dem Autor nicht negativ angerechnet werden, wenngleich es wünschenswert gewesen wäre, Näheres zu den einflussreichen Leuten in der ,Szene‘ zu erfahren.“ So viel Zuspruch scheint anzuspornen und dem Wunsch der beiden Herausgeber entsprechend wird Hoffmann nicht müde über die angebliche Gefahr von Links zu informieren. Hierfür nutzt er das Dossier „Linksextremismus“ der „Bundeszentrale für politische Bildung“, insbesondere aber die von ihm verantwortete Internetplattform „Bibliographie zur Linksextremismusforschung“. Ziel soll es sein dem „defizitären Forschungsstand“ im Bereich „Linksextremismus“ entgegenzuwirken und die dafür notwendige Literaturrecherche zu erleichtern. Offen lässt Hoffmann hingegen den Gegenstand seiner Kritik: „Die Meinungen darüber, wo Linksextremismus beginnt, gehen weit auseinander. BiblioLinx überlässt die Entscheidung, welche Strömungen und Gruppierungen Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen sein sollen, den Autoren und kreiert keine eigene Definition.“ Um nicht der Beliebigkeit anheim zu fallen grenzt er seine Quelltextverweise auf der Internetseite immerhin auf Autonome Selbstdarstellungen, Kommunistische Thesenpapiere oder Liedtexte des „Propagandarappers“ Holger Burner ein. Doch auch die praktische Auseinandersetzung wird nicht unterschlagen. Die zuletzt ob ihrer Sinnhaftigkeit stark in die Kritik geratenen Präventionsprojekte des Bundesprogramms gegen „Linksextremismus“ sind Hoffmann einen Verweis wert und auch „10 goldene Regeln für den Umgang mit linksextremistischer Gewalt“ gibt er dem_der interessierten Leser_in mit auf den Weg. „Spielen sie nicht den Helden! Angreifer aus der linksextremen Szene lassen sich nicht ohne Gegenwehr festnehmen. […] Wenden Sie sich noch am selben Tag an die örtliche Presse! […] Treffen Sie Vorkehrungen, um zukünftige Übergriffe zu erschweren! Wer einmal Opfer eines linksextremistischen Übergriffs geworden ist, muss mit Nachahmertaten rechnen.“

Im Kampfe vereint

Dass Hoffmann diesem Bedrohungsszenario nicht alleine gegenübersteht zeigt eine jüngere Veröffentlichung. Zusammen mit Felix Strüning und André Freudenberg veröffentlichte er den Artikel „Der Schwarze Block und die Gesellschaft“ in den „Politischen Studien“ der CSU-nahen „Hans-Seidel-Stiftung“. Grundlage dieses Artikels ist eine gemeinsam erarbeitete Studie „über die Wahrnehmung von und den Umgang mit Linksextremismus in Deutschland“. Doch schon vor diesem Projekt, das sich wissenschaftlich und inhaltlich auf ähnlich fragwürdigem Niveau bewegt wie vorhergehende Publikationen zum Thema, gab es Überschneidungen der drei Nachwuchs-„Wissenschaftler“. Auf dem „Zwischentag“ 2012 in Berlin, einem der maßgeblichen Vernetzungstreffen der sogenannten Neuen Rechten, trat Strüning als Referent auf. Freudenberg durfte den Stand der Stresemann Stiftung betreuen und dort sein für diese veröffentlichtes Diskussionspapier „Rechts von der CDU?“ vorstellen. Darin beklagt er, dass „es in Deutschland unter den derzeit vorhandenen Sonderbedingungen für die demokratische Rechte aus eigener Kraft, d.h. ohne die Nutzung etablierter Strukturen und ohne krisenhafte Zuspitzung nahezu unmöglich ist, eine Partei zu etablieren, da die Hürden, die die ,politisch-mediale Klasse‘ errichtet hat, einfach zu hoch sind.“ Zu diesem Zeitpunkt war die rechte „Alternative für Deutschland“ (AfD) noch nicht gegründet, eventuell wäre Freudenbergs Fazit weniger pessimistisch ausgefallen. Mittlerweile beschäftigt er sich in Veröffentlichungen auf der Internetseite des Stiftungsprojekts CitizenTimes intensiver mit der AfD und gelangt zu der Erkenntnis, dass sie „den bestmöglichen Rahmen und die einmalige Chance [bietet], die Zersplitterung im liberal- bzw. nationalkonservativen Spektrum zu überwinden und zu einem ernstzunehmenden politischen Faktor zu werden.“ Die Partei ist aber auch für andere Autoren der Seite von Interesse. Karsten Dustin Hoffmann etwa bemängelt in einem Interview mit Jörn Kruse, dem Hamburger Spitzenkandidaten der AfD für die Bundestagswahl, dass nicht wenige Journalisten die Partei „unterschwellig in die ,rechte Ecke‘“ stellen wollen.

Darin genau erschöpft sich dann auch die politische Analyse der „Demokratieverteidiger“. Demokratie ist aus ihrer Sicht nur und immer dann bedroht, wenn Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung eine Rolle spielen könnte. Unter dem Deckmantel politischer und wissenschaftlicher Seriosität versuchen sie Wirkmächtigkeit zu erlangen und rechts-konservative Ansichten, in bemühter Abgrenzung zu extrem rechten Positionen, in der gesellschaftlichen Debatte weiter zu forcieren. Tatsächlich handelt es sich um eine Fortsetzung des diskursiven Kampfes um kulturelle Hegemonie, der von Konservativen und extremen Rechten gegen einen vermeintlich „linken Mainstream“ geführt wird.

“Deutschland treibt sich ab”– Organisierter ›Lebensschutz‹, christlicher Fundamentalismus und Antifeminismus

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AbtreibungsgegnerInnen drängen mit ihren Kampagnen immer stärker in die Öffentlichkeit. Zu ihrer größten Veranstaltung, dem »Marsch für das Leben« in Berlin, bringen sie mittlerweile bis zu 4.000 Menschen auf die Straße. Dabei können sie sich auf antidemokratische und antifeministische Diskurse berufen, die von einem breiten Spektrum verschiedener Gruppen bestimmt werden.

 

unrast_Lebensschutz_covervon Eike Sanders, Ulli Jentsch und Felix Hansen (Dieser Text ist ein Auszug aus dem in Kürze im Unrast Verlag erscheinenden Buch: Eike Sanders, Ulli Jentsch, Felix Hansen: »Deutschland treibt sich ab«. Organisierter ›Lebensschutz‹, christlicher Fundamentalismus und Antifeminismus. Reihe unrast transparent – rechter rand, Band 12. Der Text erschien zuerst als Vorab-Version in monitor #65.)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Unsere erste Begegnung mit der aktuellen »Lebensschutz«-Bewegung war 2008 beim »Marsch für das Leben« in Berlin. Wir standen als Beobachter_innen am Rand, ließen die damals nur knapp 1.000 Holzkreuz-TrägerInnen an uns vorüberziehen, als plötzlich ein Geistlicher ein Plastikmodell eines kleinen Embryos vor das Gesicht der Frau in unserer Gruppe hielt und sie damit »segnete« – ungefragt, ungewollt, überaus unangenehm. Als wir damals das erste Mal die Veranstaltung dokumentierten, war sie noch bedeutend kleiner als heute – und bedeutend unterhaltsamer, wenn wir an die Gruppe US-amerikanischer Bibeltreuer denken, die auf einer selbstgebauten Lure trompetend um den Neptunbrunnen auf dem Alexanderplatz zogen.

Doch die Anmaßung der AbtreibungsgegnerInnen(1) gegenüber den Frauen und ihren Körpern war von Anfang an, und ist es seit Jahrzehnten und Jahrhunderten, keine Groteske und kein aussterbendes Phänomen. Wir halten die offenbar zunehmende gesellschaftliche Reichweite dieser und anderer Veranstaltungen der Bewegung für beachtenswert. Nicht etwa, weil dort auch mal Neonazis zu sehen sind, was in der Vergangenheit immer wieder der Fall war, sondern weil hier haarsträubende antidemokratische und antifeministische Positionen formuliert werden. Einzelne VertreterInnen der extremen Rechten fühlen sich hier ebenso wohl wie Mitglieder evangelikaler und reaktionärer katholischer Gruppierungen wie etwa der Pius-Bruderschaft.

Explizite »Lebensschutz«-Organisationen

Kritik an und Agitation gegen Schwangerschaftsabbrüche finden wir in Deutschland in der organisierten Form der »Lebensschutz«-Bewegung seit den späten 1960er Jahren. Als »Lebensschutz«-Bewegung bezeichnen wir eine Vielzahl von Gruppen, die sich über dieses gemeinsame politische Anliegen definieren. Es ist eine »Ein-Punkt-Bewegung«, die sich überkonfessionell und überparteilich gibt. Die Ablehnung von Abtreibungen war von Anfang an eng verknüpft mit einem Kampf gegen den Feminismus und gegen die sexuelle Selbstbestimmung vor allem von Frauen und entspringt einem konservativen bis extrem rechten Weltbild.

Mit den Kämpfen und (Teil-)Erfolgen der feministischen Bewegung der 80er Jahre für die sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung geriet die Bewegung zur Ablehnung von Schwangerschaftsabbrüchen in die Defensive. In den frühen 1990er Jahren wurden dann die Überschneidungen der »Lebensschützer« in die extreme Rechte bekannt. Die »Lebensschutz«-Gruppen waren als christliche FundamentalistInnen stigmatisiert und verstärkt auf ein gutes Image und die gesellschaftliche Anschlussfähigkeit bedacht. Dies drückt sich heute in einer entradikalisierten Sprache und einer verstärkten Lobbyarbeit in politischen Eliten aus. Zudem hat die »Lebensschutz«-Bewegung de facto ihr Themenspektrum ausgeweitet: Die Gruppen engagieren sich seit einigen Jahren nicht nur gegen Schwangerschaftsabbrüche, sondern auch gegen Präimplantationsdiagnostik (PID) und Pränataldiagnostik (PND) und die damit verbundenen Selektionseffekte sowie gegen die Sterbehilfe, die sie als »Euthanasie« bezeichnen.

(c) apabiz

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»Märsche für das Leben« bundesweit

Ihre Inhalte bringen die »Lebensschützer« auf verschiedenen Wegen an die Menschen: Durch klassische Aktionen wie Demonstrationen, durch Informationsarbeit auf lokaler Ebene, in persönlichen Gesprächen oder durch professionelle Lobbyarbeit. Hierbei ist eine klare Aufteilung der Zielgruppen und Arbeitsbereiche unter den verschiedenen »Lebensschutz«-Gruppen festzustellen. Die wichtigste öffentliche Aktionsform der »Lebensschutz«-Bewegung sind die jährlich in mehreren Städten Deutschlands und Europas stattfindenden »Märsche für das Leben«. Hier proklamieren die Teilnehmenden öffentlich ihren Anspruch, »für eine Kultur des Lebens in Deutschland und Europa einzutreten«(2) und der »Opfer dieser ›Kultur des Todes‹«(3) zu gedenken. Neben einem überwiegend schweigend durchgeführten Aufzug, auf dem symbolisch weiße Holzkreuze für die »getöteten Kinder« mitgeführt werden, finden Kundgebungen und Gottesdienste statt.

Der Bundesverband Lebensrecht (BVL) (Kurz-Portrait siehe unten) organisiert jährlich im September die zentrale Veranstaltung in Berlin, die 2013 bereits zum elften Mal(4) stattfand. Das gesamte Jahr bereitet der BVL unter seinem Vorsitzenden Martin Lohmann diesen Marsch vor – mit wachsendem Erfolg: der Protestzug ist kontinuierlich gewachsen, in Berlin zuletzt auf rund 4.000 Teilnehmende. Auch die internationale Beteiligung hat sich verstärkt, so waren bereits 2012 über 100 Jugendliche aus Polen angereist, erkennbar an polnischen Nationalfahnen und Papst-Wojtyla-Fan-T-Shirts. Das Publikum besteht teilweise aus Kindern und Jugendlichen: Oft waren es Kleinkinder die selbst gemalte Schilder gegen Abtreibung trugen oder von ihren Eltern vorgeschickt wurden, Flyer an Passant_innen und Gegendemonstrierende zu verteilen.

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Der Marsch in Berlin ist aufwändig und sorgsam orchestriert, so wie der von 2012: Um 13 Uhr begann die ca. einstündige Auftakt-Kundgebung am Bundeskanzleramt, moderiert vom Vorsitzenden des veranstaltenden BVL, Martin Lohmann. Insgesamt zehn RednerInnen und zwei MusikerInnen traten ans Mikrofon, um zum großen Teil von eigenen Erfahrungen zu berichten. Die Rhetorik von Gut und Böse führte in den Argumentationen zu der Selbststilisierung als Verkünder der »Wahrheit« – auch gegenüber denjenigen, die noch verblendet seien, wie z.B. die Gegendemonstrierenden. »Wir sagen Ja zum Leben, auch für jene, die das noch nicht verstehen, ich sage Euch: Die Wahrheit wird sich durchsetzen, die Wahrheit wird uns frei machen«, so Lohmann gleich zu Beginn der Auftaktkundgebung(5).

Anhand der Märsche wird die Kampagnenfähigkeit der »Lebensschutz«-Bewegung, vor allem unter der Dachorganisation BVL, am deutlichsten. Liberale und reaktionäre Teile des Spektrums stehen unwidersprochen nebeneinander auf der Bühne und können ihre jeweiligen Botschaften verkünden. Märsche finden unter anderem in Berlin, München, Fulda, Münster (organisiert durch EuroProLife) und Freiburg (organisiert durch die Pius-Brüder) statt. In Annaberg-Buchholz organisiert der Kreisverband Erzgebirge der Christdemokraten für das Leben (CDL) seit 2010 jährlich Ende Mai einen »Schweigemarsch für das Leben«, der 2013 unter dem Motto »Abtreibung stoppen! Menschenwürde achten!« mit 300 Teilnehmenden stattfand. Bemerkenswert ist die maßgebliche Teilnahme von sächsischer CDU-Prominenz, wie dem CDU-Fraktionsvorsitzenden im Landtag, Steffen Flath.

Während der Märsche kommt es inzwischen regelmäßig zu Protesten von linken, (queer-)feministischen und antifaschistischen Gruppen. Diese Gegenmobilisierungen, die laut Kirsten Achtelik seit 2008 in Deutschland und Österreich durchgeführt werden, setzen »den Aktionen der Abtreibungsgegner_innen erstmals öffentlich Protest entgegen«, aber hätten auch »eine erneute Auseinandersetzung mit Abtreibung und reproduktiven Rechten angeregt«, die lange nicht mehr geführt wurde.(6)

(c) apabiz

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Ablehnung von Abtreibungen als umfassende Kulturkritik

Die Vielzahl an expliziten »Lebensschutz«-Organisationen ist gut verzahnt in breitere politische Netzwerke von christlichen Gruppen, von Parteien und Organisationen der Neuen Rechten. Wir zählen derzeit mindestens 60 explizite »Lebensschutz«-Gruppen in Deutschland, meist als eingetragene Vereine und als gemeinnützig anerkannt, von denen geschätzt die Hälfte vor allem Informations- und Lobbyarbeit gegen Abtreibungen betreibt, die andere Hälfte bietet (persönliche oder telefonische) Schwangeren-Beratungen an ohne den Beratungsschein(7) auszustellen. Einige sind auch in beiden Feldern tätig. Nicht mitgezählt haben wir die Dutzenden Regionalgruppen großer Organisationen wie Kaleb. Die meisten Organisationen veröffentlichen keine Mitgliederzahlen, Zahlen über angestellte MitarbeiterInnen oder Angaben über ihr Vermögen und ihre Finanzquellen.

Die Abtreibungskritik dient den christlich-fundamentalistischen Gruppen – die nahezu ausschließlich den Kern der Aktiven stellen – immer als Ausgangspunkt für eine umfassende, generalisierende Kulturkritik an der heutigen postmodernen und individualisierten Gesellschaft. Am Thema »Lebensschutz« werden eine Vielzahl von gesellschaftlichen Diskursen zugespitzt, moralisiert und emotionalisiert. Von Anfang an war das Ziel der »Lebensschutz«-Bewegung nicht alleine darauf ausgerichtet, Schwangerschaftsabbrüche gesetzlich zu erschweren, zu verbieten oder moralisch zu verdammen. Näher betrachtet geht es ihnen um eine Kritik an einer als »unverantwortlich« apostrophierten liberalisierten Sexualmoral, an der Anmaßung des Menschen über die »Schöpfung« (sprich »Gottlosigkeit«), am fehlenden Schutz der »Schwächsten« der Gesellschaft, an Materialismus, Profitdenken und Egoismus, und, zumindest im deutschen Kontext, am demografischen Wandel und dem damit verknüpften, drohenden Verlust eines »christlichen Abendlandes«. Ihre propagierten »Problemanalysen« skizzieren einen pro-christlichen, anti-säkularen und anti-modernen Gesellschaftsentwurf.

 

(1) Wir verwenden in eigenen Publikationen den Gender_gap, wo eine Menge von all gender Menschen beschrieben wird. Bei den VertreterInnen der extremen Rechten und des christlichen Fundamentalismus benutzen wir das Binnen-I, da es in ihrem Selbstverständnis keine weiteren Geschlechter, sondern nur Männer und Frauen gibt. »Lebensschützer« oder »Lebensrechtler« ist die Selbstbezeichnung der Akteure, die wir ungegendert in Anführungszeichen übernehmen.
(2) BVL: Berliner Erklärung zum Schutz des ungeborenen Lebens anlässlich des Marsches für das Leben am 21.9.2013, www.marsch-fuer-das-leben.de/berliner_erklaerung.php, 14.5.2014
(3) EuroProLife: Gebetszug »1000 Kreuze für das Leben« in Münster/Westfalen, siehe europrolife.com/147-0-News.html, 14.5.2014
(4) Der »Marsch für das Leben« fand in Berlin in den Jahren 2002, 2004, 2006 und seit 2008 jährlich statt, bis 2006 unter dem Namen »1000 Kreuze für das Leben«, siehe www.marsch-fuer-das-leben.de
(5) Der gesamte Bericht siehe apabiz: Der »Marsch für das Leben« in Berlin unter www.blog.schattenbericht.de/2012/09/der-marsch-fur-das-leben-in-berlin, 14.5.2014
(6) Achtelik, Kirsten: Gegen die »Märsche für das Leben« – eine Erfolgsgeschichte, in: Familienplanungszentrum Balance (Hg.): Die neue Radikalität der Abtreibungsgegner_innen im (inter-)nationalen Raum. Berlin 2012, S. 81-83.
(7) Eine bescheinigte Beratung von einer anerkannten Beratungsstelle ist für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch vorgeschrieben.

 

Kurzportait: Bundesverband Lebensrecht e.V. (BVL)

Dachorganisation von derzeit 13 »Lebensschutz«-Gruppen ist der 2001 gegründete Verein BVL mit Sitz in Berlin. 2009 löste Martin Lohmann Claudia Kaminski als Vorsitzende ab. Mitglieder des BVL sind derzeit: ALfA – Aktion Lebensrecht für Alle, Arbeitskreis Lebensrecht und Familie der AUF-Partei, CDL, Durchblick, Europäische Ärzteaktion, Kaleb, JVL – Juristenvereinigung Lebensrecht, Pro Conscientia, Pro Mundis, Rahel, Stiftung Ja zum Leben, TCLG, Weisses Kreuz.

In seiner Satzung erklärt der BVL, Ziel sei das gemeinsame Eintreten »für den Schutz der Würde und des Lebensrechts ungeborener und geborener Menschen von der Zeugung bis zum natürlichen Tod«. Basis der Zusammenarbeit seien die Menschenrechte und die »elementaren Grundrechte der Verfassung, in denen das biblisch-christliche Menschenbild seinen Ausdruck« finde. Hauptaktivität ist die Ausrichtung des bundesweiten »Marsch für das Leben« in Berlin. Des Weiteren veranstaltet der BVL Weiterbildungsseminare und Symposien, äußert sich in Pressemitteilungen und betreibt Lobbyarbeit, indem er »politische und kirchliche Verantwortungsträger« informiert. Aus den verlesenen Grußworten auf den »Märschen für das Leben« und den eingeladenen RednerInnen auf den Veranstaltungen lässt sich auf eine hervorragende Vernetzung des BVL in wichtige funktionstragende Kreise der Politik und Kirche schließen. Sowohl die frühere Vorsitzende Claudia Kaminski als auch Martin Lohmann scheuen sich nicht, für extrem rechte Publikationen wie die Junge Freiheit oder Compact Artikel zu schreiben oder Interviews zu geben.

NPD-Kader verherrlicht offen den Nationalsozialismus bei Kundgebung in Berlin-Mitte

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Am Freitag, den 1. August 2014 veranstaltete die Berliner NPD unter dem Motto »100. Jahrestag deutsche Mobilmachung zum 1. Weltkrieg – Nie wieder europäische Bruderkriege« eine Kundgebung in Berlin-Mitte in unmittelbarer Nähe des Brandenburger Tors. Etwa 40 Nazis aus Berlin, Brandenburg, Hamburg, Sachsen und Tschechien waren gekommen. In den Redebeiträgen relativierten und leugneten Udo Voigt, Thomas Wulff und Josef Graf die Kriegsschuld Deutschlands am Ersten Weltkrieg. Wulff verherrlichte ein weiteres Mal offen den Nationalsozialismus. Obwohl die Kundgebung erst einen Tag zuvor bekannt geworden war, waren mehrere Hundert Gegendemonstrant_innen gekommen und protestierten lautstark.

NPD-Kundgebung am 1. August am Brandenburger Tor (c) apabiz

NPD-Kundgebung am 1. August am Brandenburger Tor
(c) apabiz

Bereits der Aufruf zur Kundgebung gab die kaum überraschende Richtung vor. Eine Schuld Deutschlands am Ausbruch des Ersten Weltkrieges kommt demnach gar nicht in Frage. Vielmehr sei das damalige Deutsche Reich regelrecht zum Krieg gezwungen worden, obwohl angeblich »die reichsdeutsche Regierung durch vielfältige Initiativen den Ausbruch eines allgemeinen europäischen Krieges in letzter Minute doch noch zu verhindern« versucht hatte. Nach der Mobilmachung Frankreichs und Russlands zur Unterstützung Serbiens aber sei »dem Kaiser keine andere Wahl mehr« geblieben, als »ebenfalls die Generalmobilmachung zu befehlen«, um Österreich-Ungarn zur Seite zu stehen. Diesen Ereignissen wollte der NPD-Landesverband Berlin »am Tage ihrer hundertsten Wiederkehr mit einer Kundgebung am Brandenburger Tor gedenken«. Kein Wort zur bereits zuvor garantierten »bedingungslosen Unterstützung« von Österreich-Ungarn durch das damalige Deutsche Reich und die daraufhin erfolgte Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien. Laut Aufruf sollte die Kundgebung zugleich »eine Mahnung an jene dunklen Kräfte sein, die im Osten der Ukraine einen weiteren Brandherd in Europa gelegt haben und die Rußland systematisch an die Wand zu drängen versuchen«.

Die Redner und NPD-Kader Udo Voigt (2.v.l.). Thomas Wulff (2.v.r.) und Josef Graf (r.) bei der Kundgebung am 1. August. (c) apabiz

Die Redner und NPD-Kader Udo Voigt (2.v.l.). Thomas Wulff (2.v.r.) und Josef Graf (r.) bei der Kundgebung am 1. August.
(c) apabiz

Wenig aber prominente und überregionale Beteiligung

Auch wenn es wie schon bei den vergangenen Kundgebungen in Berlin nicht sonderlich viele Nazis waren, die die NPD hatte mobilisieren können, war die Zusammensetzung des Personenkreises doch vergleichsweise ungewöhnlich. Als Versammlungsleiter agierte der ehemalige Berliner NPD-Vorsitzende Uwe Meenen. Wenig verwunderlich war, dass neben Josef Graf (stellvertretender Vorsitzender der NPD Berlin) auch der ehemalige NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt einen Redebeitrag hielt, erstmals in seiner neuen Funktion als Abgeordneter im Europa-Parlament. Einigermaßen überraschend war hingegen der Auftritt des parteiintern umstrittenen Hamburger NPD-Vorsitzenden Thomas Wulff (Spitzname »Steiner‹, in Anlehnung an den SS-General Felix Steiner). Dies kann durchaus als Affront gegenüber dem NPD-Bundesvorstand unter dem Interimsvorsitzenden Udo Pastörs verstanden werden. Erst im April 2014 hatte der Bundesvorstand erfolglos ein doppeltes Parteiausschlussverfahren gegen Wulff geführt. Eines war bereits im Oktober 2013 noch unter Holger Apfel wegen »fortwährende[r] Störung des Parteifriedens« erhoben worden. Das zweite bezog sich auf Wulffs Amtsantrittsrede als NPD-Landesvorsitzender in Hamburg, in der er sich als ›Nationalsozialist‹ bezeichnet hatte. Wulff klagte erfolgreich und konnte sein Amt behalten. Außerdem waren zur Kundgebung am Brandenburger Tor einige der üblichen Berliner Nazis wie etwa Gesine Schrader (ehemals Hennrich), Ronny Schrader (beide Die Rechte Berlin), Danny Matschke und Dietmar Tönhardt (beide NPD Berlin-Lichtenberg), David G. sowie Maik Schneider aus Brandenburg gekommen. Auffallend war, dass nicht nur der Berliner NPD-Vorsitzende Sebastian Schmidtke und die Aktivistin des Ring Nationaler Frauen (RNF), Maria Fank, fehlten, sondern auch etliche ihres treuen Gefolges. Stattdessen waren einige bisher unbekannte Nazis sowie die sächsische NPD- und RNF-Aktivistin Katrin Köhler und eine Gruppe von teilweise sehr jungen tschechischen Neonazis. Auch die Fahne der tschechischen Neonazi-Organisation DSSS (Jugendorganisation der Nazi-Partei DS, in etwa das Pendant zur JN) wurde gezeigt.

Die sächsische NPD-Aktivistin Katrin Köler (Mitte im weißen Oberteil) neben einem eifrigen Berliner NPDler bei der Kundgebung am 1. August. (c) apabiz

Die sächsische NPD-Aktivistin Katrin Köler (Mitte im weißen Oberteil) neben einem eifrigen Berliner NPDler bei der Kundgebung am 1. August.
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Geschichtsrevisionismus und offene NS-Verherrlichung

Getreu dem Motto der Kundgebung bezogen sich alle Redebeiträge auf den 100. Jahrestag der deutschen Mobilmachung zu Beginn des Ersten Weltkriegs. In erwartbar geschichtsrevisionistischem Duktus negierten alle die deutsche Kriegsschuld und verklärten sie als eine quasi erzwungene und notwendige Reaktion. Josef Graf konnte mit seiner etwa 45minütigen Rede nur schwer die umstehenden KameradInnen bei Laune halten. Haarklein und langwierig schwadronierte er von der angeblichen historischen Umständen des Ersten Weltkriegs, der militärischen Aufrüstung Deutschlands und der Folgen des Krieges für das ›deutsche Volk‹. Josef Graf wie auch Thomas Wulff und Udo Voigt griffen den Friedensvertrag von Versailles an, in dem nach dem Ende des Ersten Weltkrieges die Kriegsschuld Deutschlands und damit verbundene Reparationszahlungen festgeschrieben worden waren. Wahlweise sprachen sie in ihren Reden vom ›Versailler Diktat‹ (Udo Voigt) oder ›Schand-Diktat‹ (Thomas Wulff). Wulff behauptete in seiner Rede:

    »Heutzutage gibt es keinen ernst zu nehmenden Historiker mehr, der noch von einer Alleinschuld des deutschen Reiches am Ersten Weltkrieg zu sprechen wagt. […] Freie Historiker, Menschen die sich ihren klaren Blick wieder erarbeitet haben, die haben erkannt und sprechen es mittlerweile deutlich aus: Das Deutsche Reich ist keineswegs allein Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkrieges.«

Im weiteren Verlauf bezog Wulff abermals sehr deutlich Position und äußerte einmal mehr seine unverhohlene Sympathie für Adolf Hitler:

    »Und somit sage ich es ganz deutlich: Adolf Hitler hatte recht, als er forderte: Weg mit dem Versailler Schanddiktat. Das war die Hauptforderung der nationalen Bewegung: Weg mit diesem Diktat der alliierten Sieger gegen das geschlagene Deutsche Reich. Und dieses Schanddiktat war die Begründung für alles, was wir seitdem erlebt haben, seit dem Ende des Ersten Weltkrieges.«

 

Thomas Wulff, Hamburger NPD-Vorsitzender, bekennender "Nationalsozialist" und Hitler-Verehrer, bei der Kundgebung am 1. August. (c) apabiz

Thomas Wulff, Hamburger NPD-Vorsitzender, bekennender ›Nationalsozialist‹ und Hitler-Verehrer, bei der Kundgebung am 1. August.
(c) apabiz

Während seines gesamten Auftritts ließ Wulff an seiner Haltung zum Nationalsozialismus keinen Zweifel aufkommen. Gleich zu Beginn hatte er seinen Redebeitrag im Hinblick auf das hochsommerliche Wetter mit den Worten eingeleitet:

 »Ich begrüße euch an einem Tage, vor Hundert Jahren sagte man ‘Kaiserwetter’, in der nächsten großen Periode unseres Volkes, in der letzten Periode, in der unser Volk politisch unabhängig und frei war, da sagte man ‘Führerwetter’ in Berlin. Und so begrüße ich euch, weil mir seitdem mit Adenauer und Konsorten bis Merkel nichts Besseres untergekommen ist für unser Volk, was die politische Freiheit unseres Landes angeht, auch euch heute hier herzlich Willkommen bei bestem ‘Führerwetter’ in Berlin.«

In seiner 20minütigen Rede glorifizierte Wulff durchweg auch weitere Facetten des Nationalsozialismus: dessen Ideologie, die NSDAP und insbesondere den ›Deutschen Frontsoldaten‹:

    »Doch es erwachte unserem Volke auch etwas in diesem Kriege. In diesem großen ersten Kriege entstieg dem Grabenkampf der deutsche Frontsoldat. Jener Soldat, der seitdem der Mythos schlechthin für das Soldatentum in der Welt steht. Der deutsche Soldat, der gegen eine vielfache Übermacht mit heißem Herzen kämpfte. Gegen eine Übermacht, gegen die er keine Chance zu haben glaubte aber doch immer und immer wieder bestanden hatte. Ungeschlagen zog die Armee aus fremder Erde in die Heimat zurück. Dieses Frontsoldatentum brachte auch eine politische Idee aus den Gräben des Ersten Weltkrieges mit. Es war die Idee eines nationalen Sozialismus, eines Frontsozialismus von Männern getragen, die in endlosem kriegerischen Handeln heruntergebrochen waren bis auf das Niedrigste, bis auf das Einfachste, bis auf das, was den Menschen zuletzt noch bleibt: das nackte Leben, die vollkommene Entbehrung, die Selbstlosigkeit seines Nebenmannes gegenüber. Mit diesem Geiste zogen auch die Männer nach Deutschland zurück, Männer wie Rudolf Heß, Männer wie Ernst Röhm, Männer wie Hermann Göring und andere, die dann eine Partei aufbauten, die eine nationale und soziale Idee trugen und ins Volk hineintrugen. Und so entstand nach einem langen Leidensweg in der Weimarer Zeit, in der unser Volk sein Recht nicht einfordern konnte, weil die Politik es zu feige war einzufordern. So entstand dann am Ende ein moderner Sozialstaat, wie ihn bis dahin die Welt noch nicht gesehen hatte.«

Udo Voigt, ehemaliger NPD-Bundesvorsitzender und derzeitiger Abgeordneter im Europa-Parlament, bei der Kundgebung am 1. August (c) apabiz

Udo Voigt, ehemaliger NPD-Bundesvorsitzender und derzeitiger Abgeordneter im Europa-Parlament, bei der Kundgebung am 1. August
(c) apabiz

Auch Udo Voigt wetterte in seiner darauf folgenden Rede nicht nur umfassend gegen den Friedensvertrag von Versailles. Außerdem fantasierte er von einem angeblichen 100 Jahre währenden Krieg gegen das ›deutsche Volk‹:

    »Liebe deutsche Landsleute, dieser 1. August 2014 ist in der Tat ein historischer Tag. Denn dieser Tag bedeutet für uns Deutsche ein noch nicht zu Ende gegangener hundertjähriger Krieg gegen unser Volk. Meine Vorredner haben es dargelegt, wie es zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges gekommen ist. Und liebe deutsche Landsleute, das Versailler Diktat, wo wir unterschreiben mussten, dass sich Deutschland zur Alleinkriegsschuld bekennt, ist heute fertig für die Mülltonne, weil kein Historiker in der Welt mehr von deutscher Alleinkriegsschuld am Ersten Weltkrieg spricht. Wenige Jahre danach begann ein neuer Weltkrieg, und die Sieger des Zweiten Weltkrieges, ja liebe Bürgerinnen und Bürger, liebe deutsche Landsleute, die hatten daraus gelernt. Sie wollten verhindern, dass jemals noch ein Deutschland in Europa wieder erstarken kann. Ihre Politik – und ich meine die Politik der Besatzer da drüben – war es, Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg zu besetzen, aufzuteilen, die Patrioten zu verfolgen und diese Patriotenverfolgung hält bis zum heutigen Tage an. In den letzten fünf Jahren fanden alleine 108.000 Ermittlungsverfahren gegen deutsche Patrioten statt. Stellvertretend für alle sitzt Horst Mahler nur für seine freie Meinung 12 1/2 Jahre im Gefängnis. Und ich weiß nicht, wie man angesichts einer solchen Unfreiheit noch jubeln kann. Man hat das deutsche Volk umerzogen. Man hat Deserteure in die wichtigsten politischen Positionen gesetzt. Und Deutschland hat 1945, seit 1945 immer noch keinen Friedensvertrag. Wir haben somit eine Art Waffenstillstand. Und in dieser Zeit ist man bemüht, in Deutschland das deutsche Volk auszutauschen durch eine Multikulti-Politik nach dem Beispiel der Vereinigten Staaten von Amerika.«

Der Brandenburger NPDler Maik Schneider im Kreise junger Neonazis aus Tschechien. (c) apabiz

Der Brandenburger NPDler Maik Schneider im Kreise junger Neonazis aus Tschechien.
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Udo Voigt versuchte zudem einen aktuellen Bezug herzustellen und nahm den Ort in unmittelbarer Nähe der US-Botschaft, sowie die tagespolitischen Ereignisse in der Ukraine zum Anlass, um dem für die NPD typischen verschwörungsideologischen Antiamerikanismus Luft zu machen:

    »Und ich freue mich, jetzt mit vielen europäischen Patrioten im Europa-Parlament dort die Interessen der Völker zu vertreten, dort darauf aufmerksam machen kann, dass Europa wieder vor der Gefahr eines großen Krieges steht. Liebe Bürgerinnen und Bürger, was zur Zeit in der Ukraine abgeht, und wie es die USA schaffen, West-Europa auf Russland zu hetzten, und wie man es schafft, die Völker Europas auseinander zu dividieren. Ja, wenn es dort wirklich zum Krieg zwischen Russland und der Ukraine kommt, dann wird Europa nicht Abseits stehen. Dann wird es wieder einen Krieg befreundeter Völker in Europa geben. Und einer ist der lachende Dritte, der da drüben sitzt in der Botschaft, überm großen Teich. […] Wir sind aber der Meinung, dass sowohl die Ukraine wie Russland europäische Völker beinhalten. Und diese Staaten Ukraine und Russland müssen in ein Europa der Vaterländer, welches dann eine eigene Verteidigungspolitik betreibt, ohne die raumfremden Interessen der USA überhaupt berücksichtigen zu müssen.«

In Bezug auf die Situation in der Ukraine hatte Thomas Wulff eine ganz besondere wenn auch für Kritiker_innen keineswegs überraschende Sympathiebekundung ausgesprochen:

»Und da wünsch ich mir natürlich von so einem Aufklärer wie dem Herrn Elsässer, der sich langsam aufgemacht hat aus der Linken wegzukommen und in nationalstaatliches Denken überzugehen, [...] nicht nur die richtigen Fragen zu stellen, sondern auch, dass er die richtigen Antworten dazu gibt, Herr Elsässer.«

Gegendemonstrant_innen am Rande der Kundgebung am 1. August. (c) apabiz

Gegendemonstrant_innen am Rande der Kundgebung am 1. August.
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Spontane, zahlreiche und lautstarke Gegenproteste

Obwohl die NPD erst am Tag zuvor die Kundgebung bekannt gegeben hatte, war es antifaschistischen und zivilgesellschaftlichen Initiativen sowie Parteistrukturen von Die Linke, Die Grünen und der SPD gelungen, mehrere Hundert Menschen zu Gegenprotesten zu mobilisieren. Während der gesamten Veranstaltungsdauer gab es laute antifaschistische Sprechchöre, die es teilweise schwierig machten, die Redebeiträge trotz leistungsfähiger Soundanlage zu verstehen.

Gegenproteste gegen die NPD-Kungebung am 1.  August. (c) apabiz

Gegenproteste gegen die NPD-Kundgebung am 1. August.
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Hinweis:

Das apabiz hat von dieser Veranstaltung eine umfangreiche Foto- und Audio-Dokumentation angefertigt, die diesem Artikel als Grundlage diente. Die Materialien können bei Interesse beim apabiz eingesehen werden.

Ungläubiges Staunen – Heftige Proteste gegen den 10. „Marsch für das Leben“ in Berlin

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Am 20. September 2014 fand in Berlin der inzwischen zehnte „Marsch für das Leben“ statt. Die Teilnehmenden bei der zentralen Veranstaltung der deutschen „Lebensschutz“-Bewegung sahen sich verstärkten Protesten gegenüber, die von den Veranstaltern des Marsches pauschal als „Hass und Gewalt“ bezeichnet wurden. Die Auseinandersetzungen um den §218 und bioethische Fragen haben sich damit deutlich zugespitzt.

von Ulli Jentsch und Eike Sanders (apabiz)

Rund 5000 “Lebensschützer” beim “Marsch für das Leben” am 20. September 2014 in Berlin, begleitet von Protesten. (c) apabiz

Martin Lohmann, der Vorsitzende des Bundesverbandes Lebensrecht (BVL) und alljährlich Leiter des Marsches, kann auch 2014 einen Zuwachs vermelden. Die Teilnahmezahl stieg erneut, wenn auch sehr viel moderater als in den Vorjahren, von 4.500 auf rund 5.000 Anwesende. Dennoch fällt die erste Zwischenbilanz durchaus geteilt aus. Denn „die große Ja-Bewegung in Deutschland“ sah sich so deutlichen Protesten gegenüber wie noch nie. Neben dem Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, das am Brandenburger Tor demonstrierte, gab es in diesem Jahr erstmals eine Gegendemo durch das Bündnis „what the fuck“ mit anschließenden Störungen des Marsches und Blockadeversuchen. Insgesamt wurden 1.000-1.500 Gegendemonstrierende gezählt.

Der Marsch verlief dadurch nicht so reibungslos wie gewohnt, denn die Polizei musste immer wieder Menschen von der Straße räumen. Die Marschierenden wurden fast durchgehend von der Auftaktkundgebung am Bundeskanzleramt bis zum Berliner Lustgarten, wo der abschließende Gottesdienst stattfand, von feministischem Protest in Form von Parolen, Plakaten und Farbpulver begleitet. Zeitweilig vermischten sich Marsch und Protest zu einem unübersichtlichen Durcheinander inklusive Samba-Gruppe, was bei manchen ChristInnen ein ungläubiges Staunen auf den Gesichtern hinterließ.

Zuspitzung sei Christenverfolgung

Der arabische Buchstabe 'N' steht für 'Nazarener', der arabischen Bezeichnung für Christen, und wird inzwischen weltweit als Symbol für verfolgte ChristInnen verwendet. (c) apabiz

Der arabische Buchstabe ‘N’ steht für ‘Nazarener’, der arabischen Bezeichnung für ChristInnen, und wird inzwischen weltweit als Symbol für verfolgte ChristInnen verwendet. (c) apabiz

Im Vorfeld hatten mehrere Zeitungen über die „Lebensschutz“-Bewegung und den Marsch berichtet, viele durchaus kritisch. Martin Lohmann (BVL) stimmte die TeilnehmerInnen in seiner Auftaktsrede auf den zunehmenden gesellschaftlichen Gegenwind ein, indem er „Verunglimpfung“, den „Mangel an Argumenten“ auf der Gegenseite und sogar „geistige Brandstiftung“ beklagte. Die Räume der Geschäftsstelle des BVL waren zwei Nächte vorher mit Farbe attackiert und die Scheiben eingeworfen worden. „Aber diese Gewalt in Ermangelung von Argumenten, diese Gewalt ist nichts gegenüber der schrecklichen Gewalt, die tagtäglich im Mutterleib gegen noch nicht geborene Menschen auch bei uns angewendet wird.“ Unter Bezugnahme auf die zentrale Kundgebung gegen Antisemitismus unter dem Motto „Steh auf! Nie wieder Judenhass“ am 14.9. appellierte Lohmann an die Bundeskanzlerin: „Liebe Frau Merkel, passen sie bitte auch auf, was mit den Christen in Deutschland passiert (…) Danke, dass sie vor einer Woche mit anderen aufgestanden sind um gegen Hass und Gewalt ein Zeichen zu setzen, aber wir müssen gemeinsam, liebe Frau Merkel, ein Zeichen gegen Hass und Gewalt in jeder Form setzen. Wir müssen jetzt aufstehen, es ist Zeit jetzt gemeinsam aufzustehen gegen Hass und Gewalt auch und gerade hier. Sonst ist der Protest an anderer Stelle unglaubwürdig. (Applaus)“ Hubert Hüppe, Mitglied von CDU und Christdemokraten für das Leben (CDL) und ehemaliger Behinderten-Beauftragter der Bundesregierung, der schon in den Jahren zuvor Grußworte an den „Marsch für das Leben“ geschickt hatte, lief dieses Mal angesichts der wahrgenommenen Zuspitzung selbst mit. Er betonte in seiner Rede, dass für ihn der „entscheidende Moment“ gewesen sei, „dass viele andere Gruppierungen, die auch aufgerufen haben mit Gewalt gegen diese Veranstaltung vorzugehen, dazu aufgerufen haben, und ich dachte: da musst du mitgehen, damit die Menschen merken, es gibt auch noch Stimmen im Parlament, die für das Recht auf Leben sind.“

Der Traum der Lebensschützer

Neben der Verurteilung des „Christenhasses“ durchzog mehrere Reden die Bezugnahme auf Martin Luther King und die Selbststilisierung als verfolgte Minderheit, die einen gerechten Kampf führt, der am Ende zur Wahrheit führe. „I have a dream“ wurde von Martin Lohmann interpretiert, dass Deutschland eines Tages eine „Insel der Humanität“ in der „Diktatur gegen das Leben“ darstelle und die PolizistInnen, die den Marsch schützten, eines Tages nicht mehr nötig seien. Judith Kühl („Diplombetriebswirtin und Mutter von drei Kindern“) sagte: „I have a dream, es ist erst gut 50 Jahre, dass Martin Luther King das gesagt hat, dass Menschen die gleiche Würde zugesprochen wird unabhängig von ihrer Hautfarbe. Eigentlich kann man sich das kaum vorstellen, dass das erst so kurze Zeit her ist. Wir alle dürfen heute träumen [...] und dürfen hoffen, dass die Würde des Menschen unabhängig von seinem Entwicklungsstand, sei er geboren oder ungeboren, sei er 10 Jahre oder 90 Jahre, gleich anerkannt wird in unserer Gesellschaft.“ Auch der US-amerikanische Redner, Terry Gensemer von CECforLife, griff den Faden auf und verkündete: „My Home is in Birmingham Alabama, Birmingham, Alabama, where Doctor Martin Luther King wrote his famous letter from a Birmingham jail, Birmingham, Alabama, where I also have a dream and it’s right now, my dream has come true as Birmingham has become the only, the largest abortion-free city in America! God bless you. ((frenetischer Applaus))“

Rechts im Bild Terry Gensemer (Birmingham/Alabama) von der US-amerikanischen Anti-Abortion-Organisation CEC for Life und BVL-Vorsitzender Martin Lohmann.

Rechts im Bild Terry Gensemer (Birmingham/Alabama) von der US-amerikanischen Anti-Abortion-Organisation CEC for Life zusammen mit BVL-Vorsitzendem Martin Lohmann.

Hartmut Steeb, Generalsekretär der Evangelischen Allianz, sagte, er habe den Traum von einer „neuen Bildungsoffensive“, in der gelehrt würde, dass das Grundgesetz beachtet würde, was sich in seiner Perspektive auch auf das ungeborene Leben bezöge: „Dann wären wir in der Bildungsoffensive wenigstens wieder so weit, wie unsere Vorfahren 1794, dort stand im Preußischen Landrecht in Paragraf 10: Die allgemeinen Rechte der Menschheit gebühren auch den noch ungeborenen Kindern schon von der Zeit ihrer Empfängnis. Und in Paragraf 11: Wer für schon geborene Kinder zu sorgen schuldig ist, der hat gleiche Pflichten in Ansehung der noch im Mutterleib befindlichen.“

Gegen die staatliche Sexualaufklärung

Mit Hedwig von Beverfoerde (Sprecherin der Initiative Familienschutz der Zivilen Koalition) und Elisabeth Luge waren auch RednerInnen da, die das Thema „Abtreibung“ mit Sexualaufklärung und dem angeblichen Zerfall der Familie verknüpften. Beverfoerde: „Der Lebensschutz, das Lebensrecht ist ganz ganz ganz zwingend und eng verknüpft mit dem Schutz der Familie [Applaus] […] In diesem Sinne bitte ich Sie, auch an all den Orten, wo die Familie heute besonders angefochten ist, und das wird sie leider auch auf politischer Ebene, in den Schulen, die Kinder werden leider in Bildungssystemen zunehmend auch einer Sexual- – ja, wie soll ich sagen, Erziehung oder auch Dis-/ Desorientierung ausgesetzt, die wirklich zum Himmel schreit. Und ich bitte Sie, dort wo es möglich ist, dagegen aufzustehen. ((Applaus)) Der beste Lebensschutz ist auch und eben gerade der Schutz der Familie!“ Lohmann sagte, er habe „den Eindruck“, dass „diejenigen, die auf der anderen Seite sind, gar nicht aufgeklärt sind, die wissen gar nicht, was da passiert in der Sexualität.“ Das erklärte dann Elisabeth Luge, Germanistin, Mutter von vier Kindern und TeenSTAR-Kursleiterin. Sie erzählte von den Erfolgen ihrer alternativen Sexualerziehung:  „Jugendliche, die vor diesem Programm schon sexuell aktiv gewesen sind, hören auf damit. Und Jugendliche, die vor dem Programm noch nicht sexuell aktiv waren, fangen zu einem späteren Zeitpunkt – nämlich zum richtigen Zeitpunkt – damit an.“ Ziel sei, dass die Jugendlichen ihr „Fruchtbarkeitsbewusstsein“ erkennen würden und dann die „Jugendlichen den Sinn, diesen Sinn, hinter den körperlichen Vorgängen verstehen – dann geben sie auch ihrer Sehnsucht nach einer treuen, festen und immer währenden Beziehung Raum“.

Gegen PID, PND und Sterbehilfe

Gegen PID, PND und Sterbehilfe (c) apabiz

Gegen PID, PND und Sterbehilfe (c) apabiz

Der BVL baute in dem sorgsam orchestrierten Marsch zunehmend die eigene Positionierung zu bioethischen Fragen unserer Zeit aus, was sich in den Reden als auch in der Optik des Marsches widerspiegelte: Mindestens zwei Drittel der aufwendigen und den Marsch dominierenden Schilder vom BVL behandeln inzwischen nicht mehr nur explizit Abtreibung, sondern beziehen sich auf Sterbehilfe oder die Selektion von als „behindert“ diagnostizierten Föten durch PID und PND. Der evangelische Pfarrer Matthias Köhler begrüßte die Einweihung des Mahn- und Gedächtnismals für die NS-Euthanasiemorde Anfang September diesen Jahres und führte eine Schweigeminute für die Ermordeten durch. Dass die etwas entfernten Gegendemonstrant_innen in diesem Moment weiter die Kundgebung störten, nutzen die „Lebensschützer“ in ihrer Nachberichterstattung dafür, sich als die Einzigen zu generieren, die den NS-Euthanasie-Opfern gedenken würden.

Spektrum der Teilnehmenden

Weitere RednerInnen waren Mechthild Löhr (CDL und Vorstandsmitglied des BVL), Anita Dreher (Mutter eines Kindes mit Trisomie 21), Michael Kiworr (Gynäkologe), Rudolf Gehrig und Angelika Doose (beide Jugend für das Leben) und jeweils ein Redner aus Frankreich und den Niederlanden. Den Abschlussgottesdienst gestaltete der Pfarrer Axel Nehlsen („Gemeinsam für Berlin“ e.V. und Vorstandsmitglied der DEA), die Predigt hielt Michael Fuchs (Generalvikar des Bischofs von Regensburg), und musikalische Begleitung kam von Peter Eilichmann sowie der Gruppe „P5“ – fünf Kinder des Prinzen Kiril von Preußen, die christliche Lieder und die Fürbitte sangen. Martin Lohmann begrüßte explizit Beatrix von Storch, Europa-Abgeordnete der Alternative für Deutschland, „die immer mit dabei“ sei. Wie die Jahre zuvor waren viele FunktionärInnen der „Lebensschutz“-Bewegung vor Ort: z.B. Walter Schrader und Ruthild Kohlmann (kaleb Chemnitz), Andreas Kobs (CDL Berlin) und Mechthild Löhr (CDL), Hermann Schneider (CDL Sachsen) sowie der Autor Manfred Spieker. Das Spektrum der Teilnehmenden wird zu einem nicht unerheblichen Teil aus Mitgliedern der rund 60 expliziten „Lebensschutz“-Organisationen bestanden haben, daneben waren aber auch Gruppen aus Polen und Spanien angereist, sowie diverse Geistliche. Auch der wegen antisemitischer Äußerungen aus der Partei ausgeschlossene ehemalige CDUler Martin Hohmann, der Pro Deutschland-Vorsitzende Manfred Rouhs sowie der Pro Berlin Kandidat Cornelius Berghout wurden gesichtet.

Reaktionen und Ausblick

„Wer schützt die Lebensschützer? – Linksradikale attackieren den ‘Marsch für das Leben’“ titelte das evangelikale Wochenmagazin ideaSpektrum am 24.September 2014 und skandalisierte, dass zum einen angeblich der CDU-MdB Hubert Hüppe von „zwei Gegendemonstranten geschubst und angerempelt“ worden sei, die zudem auch noch Mitarbeiter der ZDF-Satiresendung „Heute-Show“ seien. Das ZDF widersprach den Vorwürfen. Zum anderen sei die finanzielle Unterstützung der Gegenproteste in Höhe von 1.500 Euro durch die Partei die Linke sowie die Beteiligung sozialdemokratischer Verbände zu kritisieren. Von Storch wird in der idea zitiert: „Es ist erstaunlich, dass es in Kenntnis der Gewaltbereitschaft demokratischer Parteien gibt, die das [die Gegenproteste, apabiz] unterstützen.“ Einer Zuspitzung im Umgang mit den selbsternannten „Lebensschützern“ und ihrer zunehmenden Präsenz auf der einen, und dem wachsenden Widerstand aus feministischen und linken, demokratischen Spektren auf der anderen Seite wird somit auch durch die christlichen FundamentalistInnen das Wort geredet. Einer argumentativen inhaltlichen Konfrontation, die ja durchaus auch in der Vorfeld-Berichterstattung stattfand, versuchen die „Lebensschützer“ mit ihrer pauschalen Selbstdarstellung als Opfer von Hass und Gewalt auszuweichen.

Während sich einige wenige CDU-Mitglieder bei dem Marsch exponieren, enthalten sich die moderaten Kräfte der Christdemokraten auffällig jeglicher Kritik, und sei es auch nur an den fundamentalistischen Kräften in der „Lebensschutz“-Allianz. Die evangelische Amtskirche ringt offenbar noch um eine klare Position gegenüber dem Marsch. Erstmals verzichtete der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz Markus Dröge auf Wunsch der Kirchenleitung darauf, ein Grußwort zu schicken, um so die inhaltlichen Differenzen zwischen der evangelischen Kirche und dem BVL deutlich zu machen. Um die Verdeutlichung solcher Differenzen durch eine Zuspitzung in der inhaltlichen Auseinandersetzung und der Konfrontation mit feministischem Widerstand wird es sicher auch in den kommenden Jahren gehen.

Die Marschierenden wurden fast durchgehend von feministischem Protest in Form von Parolen, Plakaten und Blockadeversuchen begleitet. (c) apabiz

Die Marschierenden wurden fast durchgehend von feministischem Protest in Form von Parolen, Plakaten und Blockadeversuchen begleitet. (c) apabiz


Namibia: Vorsitzender des HSA tödlich verunglückt

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Windhoek/Mariental (Namibia) • Bereits Ende August 2014 verstarben bei einem Verkehrsunfall in Namibia drei Personen, darunter der Vorsitzende des Pro-Apartheid-Vereins »Hilfskomitee Südliches Afrika« (HSA), Ralph Schroeder (80), dessen Ehefrau Ulla (78), bis vor kurzem noch Vorsitzende des »Traditionsverbandes ehemaliger Schutz- und Überseetruppen / Freunde der früheren deutschen Schutzgebiete e.V.« und ein Begleiter. Laut Presseberichten war die Reisegruppe mit insgesamt drei Fahrzeugen unterwegs, um in Lüderitzbucht »an den Beginn des Ersten Weltkriegs« zu gedenken.
Schroeder war bereits seit 2003 stellvertretender, ab 2011 Erster Vorsitzender des HSA, einem von NPD-Funktionären dominierten Verein mit Sitz in Coburg (Bayern). Schatzmeister ist bereits seit der Gründung 1975 der langjährige Herausgeber der Nation Europa, Peter Dehoust. Auch Personen aus dem Umfeld des NSU besaßen Kontakte zum HSA, darunter Tino Brandt, der 1999 mit dem HSA nach Südafrika reiste und dort an Schießübungen teilnahm.

Windhoek/Mariental (Namibia) • At he end of August 2014 three persons were killed in a heavy car crash in Namibia: the German citizen Ralph Schroeder (80), chairman of the pro-apartheid organisation »Hilfskomitee Südliches Afrika« (HSA; Southern Africa Help Committee), his wife Ulla (78), who was the chairwoman of the militaristic and colonial era nostalgic »Traditionsverband ehemaliger Schutz- und Überseetruppen / Freunde der früheren deutschen Schutzgebiete e.V.« (‘Traditional association of former protectional and oversea troops / Friends of the former German protectorates’) and a third companion from Namibia. According to Media reports the group of three cars was on its way to commemorate »the beginning of the First World War« in Lüderitzbucht, a small town in the south of Namibia.
Schroeder had been vice-chairman of the Southern Africa Help Committee from 2003 to 2011, when he became chairman of the HSA, an association dominated by NPD members in Coburg (Bavaria). Its well known treasurer since the foundation in 1975 is the former editor of the neo-fascist magazine Nation & Europa, Peter Dehoust. Tino Brandt, a Nazi with direct contacts to the nazi-terrorists of NSU in the 1990ies, also had contacts to the HSA. Brandt traveled to the Republic of South Africa in 1999 on a journey arranged by the HSA where he attended weapons training.

Weiterführende Artikel / Further articles:

Südenreise endet tödlich bei Allgemeine Zeitung Namibia

Zahlte der Staat für Afrika-Trip von V-Mann Brandt? in Die Welt v. 31.8.2014

Zuerst! in Teheran

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Teheran (Iran) • Die jüngste antisemitische Konferenz »New Horizon« Ende September 2014 in Teheran fand offenbar auch mit deutscher Beteiligung statt. Als Referent auf dem Panel »The Mechanisms of Action of the Israeli Lobby and their Effects in Western Capitals« (»Die Mechanismen der Arbeit der Israelischen Lobby und ihre Auswirkungen in westlichen Hauptstädten«) führt das Programm den Chefredakteur Manuel Ochsenreiter auf. Der Journalist Ochsenreiter zeichnet verantwortlich für das extrem rechte Monatsmagazin Zuerst! und sollte in Teheran das Thema »Die Israelische Lobby in Deutschland« besprechen. Unter den weiteren internationalen Gästen fallen neben Verschwörungstheoretikern zum Thema 9/11 auch Antisemiten und Holocaust-Leugner wie Ahmed Rami aus Schweden, Claudio Moffa aus Italien oder Dieudonne M’bala M’bala aus Frankreich auf.
Die extrem rechte Zeitschrift Zuerst! gilt in deutschen Medien oftmals als “rechtskonservativ”, so der Tageszeitung “Die Welt”.

Tehran (Iran) The latest antisemitic conference »New Horizon« obviously took place with German participation at the end of September 2014 in Tehran. Manuel Ochsenreiter, the chief editor of Zuerst! (First!), was listed as a speaker on the panel »The Mechanisms of Action of the Israeli Lobby and their Effects in Western Capitals«. His subject: “The Israeli Lobby in Germany”. The international conference was attended by a number of conspiracy theorists and Holocaust deniers like Ahmed Rami (Sweden), Claudio Moffa (Italy) or Dieudonne M’bala M’bala (France).
Despite being obviously a magazin of the extreme-right, Zuerst! (First!) is still often regarded as right wing conservative, for example by the daily newspaper “Die Welt”.

Weiterführende Artikel / Further articles:

C of E vicar Stephen Sizer speaking at antisemitic conference in Iran by Dave Rich on Hope not Hate.

Iranian Hatefest Promotes Anti-Semitism, Draws Holocaust Deniers and U.S. Anti-Israel Activists by Anti-Defamation League

 

Who-is-Who der Trümmertruppe: NPD-Büroeröffnung in Berlin

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Der EU-Parlamentarier Udo Voigt eröffnete am Samstag in kleiner Runde ein „Bürgerbüro“ in der NPD-Zentrale in Berlin-Köpenick. Unter den Gästen befanden sich neben Parteiprominenz auch militante Neonazis und zwei ehemalige Stasi-Spitzel.

Udo Voigt, ehemaliger NPD-Bundesvorsitzender und derzeitiger Abgeordneter im Europa-Parlament, bei der Kundgebung am 1. August (c) apabiz

Udo Voigt, ehemaliger NPD-Bundesvorsitzender und derzeitiger Abgeordneter im Europa-Parlament, am 1. August 2014 in Berlin. (c) apabiz

Gastbeitrag von Theo Schneider (zuerst veröffentlicht am 20. Oktober auf dem Störungsmelder-Blog)

Als Zeichen, dass „der kämpferische Geist in der NPD ungebrochen ist“, verklärt Udo Voigt die Eröffnung seines „Bürgerbüros“ am Samstag in Berlin-Köpenick. Dabei ist es lediglich ein Versuch, der klammen und kriselnden NPD – gebeutelt von internen Streitereien, knappen Kassen und einem drohenden Verbotsverfahren – finanziell unter die Arme zu greifen, wenn er als Mitglied des EU-Parlaments sein Büro in der Bundeszentrale anmietet. So kann der fraktionslose Einzelabgeordnete problemlos ihm zustehende Leistungen an die Neonazipartei weiterreichen – und seine Position als geschasster Bundesvorsitzender in der Trümmertruppe weiter auszubauen.

Im Vorfeld der Eröffnung wurde die Zentrale in der Seelenbinderstraße 42 „in einem freiwilligen Arbeitseinsatz“ extra hergerichtet, wie Voigt berichtet. Aus Angst vor der Antifa sei sogar eine Nachtwache organisiert worden: „Damit ihre Arbeit nicht vor der Eröffnung von linken Chaoten zunichte gemacht werden konnte, haben sie dann die ganze Nacht Wache gestanden“, schreibt Voigt.

Im Rahmen der Eröffnungsfeier mit rund 50 Teilnehmenden präsentierte Voigt seine spärlich eingerichtetes Büro sowie seine Angestellten in Berlin und Brüssel: Als parlamentarischer Mitarbeiter fungiert Florian Stein (Brandenburger NPD-Funktionär), Voigts persönliche Referenten sind der ehemalige Berliner Landesvorsitzende Uwe Meenen und der stellvertretende Bundesvorsitzende Karl Richter. Als Ansprechpartnerin im Berliner Bürgerbüro soll zukünftig Bettina Bieder arbeiten, die schon vorher in der Bundeszentrale angestellt war und 2009 in Berlin für die NPD zur Bundestagswahl kandidierte. Als weitere Mitarbeiter stellte er Frank Rohleder und Kersten Radzimanowski vor. Der Dresdener Rohleder war vier Jahre lang stellvertretender Bundeschef der REPs und gilt als „Vater der Freundeskreise“ – einem Unterstützerkreis innerhalb der NPD für den ehemaligen Bundesvorsitzenden Voigt nach dessen Abwahl 2011. Radzimanowski war als Funktionär in der Ost-CDU für wenige Wochen Staatssekretär in der letzten DDR-Regierung. 2008 trat er in die NPD ein und kandidierte für die brandenburgischen Landtagswahlen 2009 auf der NPD-Liste. Von 1969 bis 1973 war Radzimanowski Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi, lieferte Informationen über die evangelische Kirche und Aktion Sühnezeichen.

Zu der Eröffnungsfeier gesellte sich das letzte Aufgebot der rechtsextremen Truppe: So waren der NPD-Bundesvize Frank Schwerdt, das Mecklenburger Landtagsmitglied und Landeschef Stefan Köster, die Berliner RNF-Vorsitzende Maria Fank, der rechte Netzwerker und Organisator der sog. „Dienstagsgespräche“, Hans-Ulrich Pieper sowie der NPD-Chef in NRW Claus Cremer in Begleitung seiner Stellvertreterin Ariane Meise vor Ort. Auch der ehemalige saarländische Parteichef Frank Franz nahm teil. Das Bundesvorstandsmitglied macht sich derzeit zum Parteitag im November Hoffnung auf die zukünftige Führung der Bundes-NPD, ist aber nicht unumstritten in der Szene.

Auch die militante Szene zeigte Präsenz. Der verurteilte Schläger und ehemalige Leipziger NPD-Kandidat Alexander Kurth war zu Gast, genauso wie Harald B., der auf eine Berliner Moschee einen Schweinekopf-Anschlag verübte. Der gerichtsnotorische Berliner NPD-Landeschef Sebastian Schmidtke, dem das Berliner Amtsgericht attestierte, als einer der „Köpfe“ an dem militanten Netzwerk NW-Berlin „nicht unerheblich beteiligt“ gewesen zu sein, ließ sich die Eröffnungsfeier ebenso wenig entgehen. In der ersten Reihe der Gäste stand auch der umtriebige Neonazi Maik Eminger, Zwillingsbruder des im Münchener NSU-Prozesses wegen Beihilfe angeklagten André Eminger. Bei ihm fand der Flüchtige 2011 nach der Selbstenttarnung des NSU zunächst Unterschlupf, bis am 24. November die GSG 9 das Haus in Grabow stürmte und André Eminger festnahm.

Im Anschluss an die Feier mit Häppchen und Sekt soll es nach NPD-Berichten eine „historische Stadtführung“ gegeben haben. Ein Foto zeigt den örtlichen NPD-Bezirksverordneten Fritz Liebenow in der Kluft des Hauptmanns von Köpenick auf dem Hof der Parteizentrale. Liebenow soll regelmäßig in der Köpenicker Altstadt solche Führungen für Touristen anbieten. 2009 wurde bekannt, dass er zeitweilig inoffizieller Mitarbeiter der Stasi gewesen war.

Gegen die NPD-Feier formierte sich vor der Parteizentrale am Samstag auch spontan Protest mit Transparenten und Sprechchören. Eine Gruppe von Antifaschisten, die zuvor bei einer Stolpersteinverlegung mit 50 Teilnehmenden für den jüdischen Fabrikanten Julius Fromm waren, nutzte die räumliche Nähe beider Veranstaltungen um das Treiben der Neonazipartei nicht unkommentiert zu lassen.

Im Geiste Hayeks – Rechte MarktfundamentalistInnen sammeln sich in der AfD

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Auch in der Bundesrepublik existiert eine marktradikale Strömung, die sich an den Thesen des verstorbenen Wirtschaftsnobelpreisträgers Friedrich August von Hayek (1899 – 1992) orientiert. Solcherart Hayek-Fans prägen das wirtschaftliche Programm der AfD. « (»
Ein Gastbeitrag von Lucius Teidelbaum. Eine gekürzte Version erschien bereits im monitor – Rundbrief des apabiz Nr.66 (Oktober 2014).

Screenshot von der Webseite der Hayek-Gesellschaft

Screenshot von der Webseite der Hayek-Gesellschaft

In seiner Grundthese nimmt Hayek an, Staatsversagen und nicht Marktversagen sei das zentrale volkwirtschaftliche Problem. Deswegen lehnte er staatliche Interventionen in die Wirtschaft ab und forderte Vertrauen auf die Selbstregulierungskräfte des Marktes. Eine Marktregulierung würde laut Hayek zum Verlust der Freiheit führen, wobei Hayek politische und wirtschaftliche Freiheit untrennbar miteinander verband. Für Hayek wurzelte daher staatliche Gewaltherrschaft vor allem in einer sozialistischen Planwirtschaft. So behauptete Hayek auch der Nationalsozialismus sei ein ‘Sozialismus’ gewesen und begründete das mit dem Staatsdirigismus im NS, ignorierte dabei aber die spezifischen politischen Inhalte. Um die Freiheit zu bewahren, müsse somit laut Hayek das Ziel ein ultraliberaler Laissez-faire Staat sein.

Ähnliche ökonomische Analysen wie Hayek hatte auch der Wirtschaftstheoretiker Ludwig von Mises (1881-1973). Da beide aus Österreich stammen wird diese wirtschaftstheoretische Denkschule häufig als »Österreichische Schule der Ökonomie« zusammengefasst. Deren Einfluss war besonders in den 1980er Jahren sehr groß. Die autoritär-demokratischen Staatsoberhäupter Margaret Thatcher (Großbritannien) und Ronald Reagan (USA) orientierten sich an Hayeks Vorstellungen, genauso wie der chilenische Diktator Augusto Pinochet. Hayek beriet zeitweise die britische Premierministerin Thatcher beim neoliberalen Umbau Großbritanniens.

Hayek-Fangruppen in der Bundesrepublik
Die VertreterInnen einer nicht-sozialen Marktwirtschaft nach Hayeks Ideen bilden ein eigenes Netzwerk, was an bestimmten Stellen Berührungspunkte und Überschneidungen zu Teilen der extremen Rechten aufweist. Da die Wirtschaftsvorstellungen Hayeks und anderer marktradikaler PredigerInnen elitär und sozialdarwinistisch geprägt waren, existieren hier auffällige Gemeinsamkeiten mit der »Neuen Rechten«. Manche sprechen auch von den Marktradikalen als »rechtslibertärer Flügel der Neuen Rechten«. Gemeinsame Bezugspunkte bestehen neben den ökonomischen Thesen auch in dem rechten Feindbild »Politische Korrektheit«, welches als »Meinungsverbot« und »Tugendterror« interpretiert wird. So referierte Thilo Sarrazin (SPD) bei der Hayek-Stiftung über sein neues Buch über einen angeblichen »Tugendterror«.

Diese Stiftung ist ein Teil des Netzwerkes von organisierten Hayek-Fans. Neben der »Friedrich A. Hayek-Stiftung« für eine freie Gesellschaft“ mit Sitz in Freiburg, gehören dazu die »Friedrich-August-von-Hayek-Gesellschaft« mit Sitz in Berlin, die mehrere über den ganzen deutschsprachigen Raum verteilten regionalen Hayek-Gesprächskreise und -Clubs betreibt. Dazu kommt eine weitere Reihe von thinktanks wie das »Ludwig-von-Mises-Institut« mit Sitz in München, das »Berlin Manhatten Institut« (Vorläufer: »Institut für Unternehmerische Freiheit«) in Berlin, die »Wert der Freiheit gGmbH« (benannt nach einem Kapitel-Titel von Hayeks Werk Die Verfassung der Freiheit) mit Sitz in Berlin oder das Hamburger »Institut für Austrian Asset Management« (IFAAM), welches die »Roland Baader Auszeichnung« vergibt. Roland Baader (1940-2012) war ein rechter Autor, der wie Hayek vor allem marktradikale Vorstellungen vertrat. Die in diesem Jahr erstmals vergebene Auszeichnung ging an Dr. Bruno Bandulet aus Bad Kissingen, einen nationalistischen Euro-Kritiker. Bandulet schreibt für die Junge Freiheit und hat in dem rechten, marktradikalen Monatsmagazin eigentümlich frei eine Kolumne. Auch ist er Mitglied der Friedrich-August-von-Hayek-Gesellschaft, zudem ist er Unterstützer der »Alternative für Deutschland« (AfD).

Einige Marktradikale, darunter auch solche Hayekscher Prägung, versammeln sich als »Liberaler Aufbruch« um den Eurokritiker und FDP-Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler. Dieser schreibt ebenfalls für eigentümlich frei und ist Mitglied der Hayek-Gesellschaft. Schäffler gründete unlängst zusammen mit Thomas Mayer, dem ehemalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank, mit »Prometheus – Das Freiheitsinstitut« eine eigene Denkfabrik.

Hayek-Fans prägen die AfD
Eine ganze Reihe von AfD-FunktionärInnen des in den Medien gerne als »liberal« betitelten Flügel scheint sich an die Vorstellungen von Hayek anzulehnen. Mit »liberal« ist damit aber eine spezielle Variante des Wirtschaftsliberalismus gemeint. So ist der AfD-Europaabgeordnete Hans-Olaf Henkel Mitglied der »Friedrich-August-von-Hayek-Gesellschaft« AfD-Europaabgeordnete und emeritierte VWL-Professor Joachim Starbatty orientiert sich ebenso an Hayek. Auch der AfD-Parteichef Prof. Dr. Bernd Lucke, ebenfalls ein VWL-Professor, tritt für eine marktradikale Agenda ein. Er war als Referent für die nationale Tagung der Hayek-Gesellschaft 2013 in Göttingen angekündigt. Prof. Dr. Roland Vaubel aus Mannheim, gleichfalls VWL-Professor, ist nicht nur Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der AfD und der Hayek-Gesellschaft, sondern stellte auch Überlegungen an, der »Unterschicht« das passive Wahlrecht zu entziehen.

An Hayek orientierte Ökonomen prägen das wirtschaftliche Programm in der AfD. Dieses bezeichnet das gewerkschaftliche Autoren-Duo David Bebnowski und Lisa Julika Förster in einer kritischen Analyse treffend mit dem Wort »Wettbewerbspopulismus« geht es einerseits um die wohlstandschauvinistische Verteidigung der nationalen und individuellen Etabliertenvorrechte im Rahmen eines freien Marktes und andererseits um die Ablehnung von Regulierungs-Konzepten in der Wirtschaft. Im Europawahl-Programm schlug sich das u.a. in der Ablehnung eines Mindestlohns nieder. Die AfD bietet als Sammlungsbewegung offenbar auch einer an Hayek und Co. orientierten nationalliberalen »Neuen Rechten« eine neue Heimat.

Vereint im antimuslimischen Rassismus – Dritter “Tag der Patrioten” in Berlin

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Am 3.Oktober veranstaltete die German Defence League (GDL) zum dritten Mal in Folge den sogenannten „Tag der Patrioten“ in Berlin. Eine krude Mischung aus GDL-Anhänger_innen, Neu-Rechten, Identitären, rechten Hooligans und ver­meintlichen „Islamkritikern“ bestärkte sich gegenseitig mit nationalistischen Parolen und offenem antimuslimischem Rassismus.

 

"Tag der Patrioten" am 3. Oktober 2014 in Berlin. (c) Christian-Ditsch.de

“Tag der Patrioten” am 3. Oktober 2014 in Berlin.
(c) Christian-Ditsch.de

 

Zwischenzeitlich bis zu 70 Personen waren dem Aufruf der GDL zum diesjährigen „Tag der Patrioten“ gefolgt und hatten sich auf dem Breitscheidplatz nahe der Ge­dächtniskirche versammelt. Gekommen waren Aktivist_innen verschiedener Un­ter-Gliederungen der GDL und internationale VertreterIn­nen von Defence League „Divisionen“ aus Holland und Finnland. In Anlehnung an die 2009 gegründete, äußerst radikale und aggressive, stark von Hooligans geprägte English Defence League (EDL) waren in den Folgejahren in mehreren europäischen Ländern entsprechende Ableger entstanden. Sie alle eint eine aggressive Mischung aus Nationalismus und antimuslimischem Rassismus.

Hooligans sorgen für bedrohliche Stimmung

Während bei entsprechenden Veranstaltungen in England Hooligans seit jeher prägend und tonangebend sind, ist dies in der Bundesrepublik ein relativ neues Phänomen. Entsprechend auffällig beim diesjährigen “Tag der Patrioten” war daher eine zeitweise anwesende Gruppe von Hooligans. Die etwa dreißig Anhänger verschiedener Vereine (aufgrund der Fan­-Utensilien waren sie dem BFC Dynamo Berlin, Eintracht Frankfurt und dem 1. FC Magde­burg zuzuordnen) sorgten durch ihr aggressives Auftreten vor allem gegenüber Pressevertreter_innen für eine bedrohliche Stimmung.(1) Unter den weiteren Gästen zeigte sich neben Neu-Rechten und Identitären kurzzeitig auch der Berliner NPD-Vorsitzende Sebastian Schmidtke.

Selbst erklärtes Ziel des „Tag der Patrioten“ war es, den offiziel­len Feierlichkeiten zum „Tag der deutschen Einheit“ in Hannover eine „patriotische“ Version entgegenzusetzen. Wie in den Jahren zuvor waren die Redebeiträge der Veranstaltung auch die­ses Mal nicht nur von EU-Skepsis, Nationalismus und Verschwörungsideologien geprägt. Erwartungsgemäß tonangebend war vielmehr das Hauptthema der Defence League: der antimuslimische Rassismus.

Medien-Schelte mittels NS-Vergleich und völkische Thesen gegen „politische Eliten“

Die Auftaktrede beim diesjährigen „Tag der Patrioten“ hielt Olaf Reihmund, Mit­glied der Berliner Divison der GDL. In seinem Beitrag griff er die seiner Meinung nach „verlogenen Medien“ in Deutschland an, die eine „seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr da gewesene Kriegshetze gegen Russland“ betreiben wür­den. Dabei ging er soweit, die von ihm als „Premium-Lügner“ bezichtigten Nachrichtensprecher_innen Caren Miosga und Klaus Kleber mit Harry Giese, dem Sprecher der Deutschen Wochenschau in der NS-Zeit zu vergleichen.

Olaf Reihmund bei der Auftaktrede des "Tag der Patrioten" (c) Christian-Ditsch.de

Olaf Reihmund bei der Auftaktrede des “Tag der Patrioten”
(c) Christian-Ditsch.de

Im Anschluss beklagte Manfred Kleine-Hartlage, selbst­ernannter „Ideologiekritiker“ und Autor im neurechten Ver­lag Edition Antaois sowie für das neu-rechte Strategieblatt Sezession, in seiner Rede die vermeintlich immer ge­ringer werdenden Unterschiede zwischen der BRD und der ehemaligen DDR. Er stellte u.a. die These auf, dass politische Eliten nur ihre Interessen verfolgen würden und „keine Gemeinsamkeiten mit ihren eigenen Völkern“ hät­ten:

„Die verantwortlichen Politiker vertreten eine Ideologie, die sie zu Verbre­chen ermächtigt und folglich begehen sie Verbrechen. Und solche Politiker, die diese verbrecherische Ideologie teilen, deutsche Politiker, die mit diesen Ver­brechern eine Wertegemeinschaft haben, haben mit dem deutschen Volk defi­nitiv keine. ((Applaus)) Dasselbe gilt für die politischen Klassen anderer westli­cher Länder, die ebenfalls keine Gemeinsamkeit mit ihren eigenen Völkern ken­nen. Die viel zitierte transatlantische Wertegemeinschaft ist eine Gemein­schaft, die die Mächtigen mit den Reichen eingegangen sind, und sie richtet sich gegen die Völker. Völker wissen nämlich instinktiv, woran sie ein Interesse haben und woran nicht, dass sie insbesondere kein Interesse daran haben, für utopistische Sozialexperimente als Versuchskaninchen herzuhalten. Und genau solche Experimente, solche Menschenversuche betreiben die Herrschenden im größten Stil.“

Manfred Kleine-Hartlage, neu-rechter Autor und selbst ernannter "Islamkritiker". (c) Christian-Ditsch.de

Manfred Kleine-Hartlage, neu-rechter Autor und selbst ernannter “Islamkritiker”.
(c) Christian-Ditsch.de

Antimuslimischer Rassismus am Rande zur Strafbarkeit

Als Rednerin für die Dutch Defence League trat Raffie Chohan auf und ließ ohne Umschweife ihrem antimuslimischen Rassismus freien Lauf. Mit drastischen Thesen bezichtigte sie Muslim_innen allgemein, eine generelle Gefahr für alle Menschen in Europa zu sein. So behauptete Chohan, dass im Islam das Recht verbrieft sei, alle Nicht-Muslim_innen zu töten, zu vergewaltigen und zu bestehlen. Als Konsequenz forderte sie eine No-Go-Zone für Muslim_innen. Es drängt sich die Frage auf, ob die  Äußerungen Chohans möglicherweise den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllen:

„Thankfully we live in a society that allows us free speech. We do not want the Sharia-law. We do not want honor-killings, rape, forced marriages or punishment for converting to Christianity. First of all you have to learn about Islam, that if you are an outsider, a Non-Muslim, for example a Christian, an atheist, an atheist, a Jew or whatever else, all Muslims have the right of killing and raping you, grabbing all you properties, your country, your land, your money, anything else. [...] As the Danger of Islam is growing so fast in Europe, should we not consider a no-go-zone for Muslims? […] As we cherish our freedom, love our country, we hate what this is doing in Europe. We are standing here together as patriots to make a fist. Friends, be strong, faithful and let freedom prevail.”

 Raffie Chohan von der "Dutch Defence League" (mittig rechts mit Sonnenbrille und roten Haaren) warten auf ihren Auftritt. (c) Christian-Ditsch.de

Raffie Chohan von der “Dutch Defence League” (mittig rechts mit Sonnenbrille und roten Haaren) warten auf ihren Auftritt.
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Verschwörungideologien von einer „islamischen Lobby“

Auch der letzte Redner des Tages, Heribert Eisenhart äußerte sich in seinem Beitrag wiederholt abwertend über den Islam. Das Motto der zentralen Einheitsfeierlichkeiten „Vereint in Vielfalt“ missfiel ihm ebenso wie die Tatsa­che, dass zeitgleich am 3.Oktober der Tag der offenen Moschee begangen wird. Er deutete das als eine offensive Provokation einer angeblich immer mächtiger werdenden muslimischen Lobby:

„Deshalb liebe Freunde, egal aus welcher politischen Ecke ihr auch kommt, ist es so wichtig, dass wir jedes Jahr diesen Tag der Patrioten hier wür­devoll gegen diese staatlichen Klamauk- Veranstaltungen setzen. Nun soll zur Vielfalt auch gehören, dass gerade heute an unserem Nationalfeiertag, ja welch ein Zufall, die muslimischen Verbände mit uns den Tag ihrer Moscheen feiern möchten. Ja aber auch das finde ich inzwischen schon wieder ausgesprochen gut, denn es zeigt doch sehr schön, islamische Lobbyfunktionäre wollen nicht wirklich zu Deutschland gehören, denn deutlicher als seine Religionsfeier be­wusst auf den Hauptnationalfeiertag des Gastlandes zu legen kann man nicht ausdrücken, dass einen die deutsche Nation nicht die Bohne interessiert.“

Im weiteren Verlauf setzte er den Islam mit dem islamistischen Terror des Islamischen Staats (IS) gleich:

„…eine Religion wie der Islam versteht sich nicht als nationale, sondern als in­ternational operierende Gemeinschaft, als Dar al-Islam, als Haus des Islam und wie toll das ist, sehen wir gerade an der ISIS im Irak und Syrien, aber inzwi­schen auch längst im vielfältigen Europa. Ich bin übrigens überzeugt, dass der Islam Friede ist, Friedhofsfrieden ((Applaus)) und leider das Ende der Vielfalt.“

Gegenproteste? – Fehlanzeige

Obwohl die Kundgebung bereits einige Wochen zuvor bekannt gegeben worden war, gab es keine nennenswerten Gegenproteste. So konnten die Kundge­bungsteilnehmer_innen ungehindert ihre Flyer an Passant_innen verteilen und in aller Ruhe ihre antimuslimischen Ressentiments verbreiten. Erst gegen Ende der Kundgebung störte eine kleine Personengruppe die Veranstaltung durch kurzzeitige Sprechchöre, worauf sie umgehend von den Kundgebungsteilneh­mer_innen umringt und teilweise als Nazis beschimpft wurden.

 

(1) In den letzten Monaten kam es immer wieder zu antimuslimisch-rassistischen Mobilisierungen durch rechte Hooligans in sozialen Medien. Zuletzt hatten Ende September etwa 300 teilweise bekannte und offen neonazistische Hooligans aus dem gesamten Bundesgebiet in Dortmund gegen Salafisten demonstriert. Für Sonntag, den 26. Oktober ist eine Großdemo für etwa 1500 Hooligans unter dem Motto „Hooligans gegen Salafisten angekündigt. Die extrem rechte Hooligan-Band Kategorie C hat jüngst einen Song mit gleichnamigem Titel veröffentlicht.

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